Das geschenkte Gesicht
Mark nehmen, Herr Professor?«
»Reden wir nicht mehr darüber. Wenn Sie das Geld wirklich hätten, würde ich zu Ihnen sagen: Legen Sie es gut an.«
»Sie ja, Herr Professor. Aber die Leute von …«
»Ich werde das klarstellen.«
»Man wird bestimmt Paragraphen haben.«
»Natürlich hat man die. Aber Sie sind eine Ausnahme.«
»Es gibt keine Ausnahmen bei den Paragraphen. Sie werden es sehen, Herr Professor.« Schwabe spielte unruhig mit den Fingern. »Wenn wir wenigstens eine Stundung herausschlagen könnten – eine langfristige Abzahlung.«
Professor Rusch klopfte mit der flachen Hand auf seinen Schreibtisch. »Nichts werden wir. Was kosmetische Operationen sind oder Funktionsherstellungen, das bestimme ich.«
»Natürlich, Herr Professor.« Erich Schwabe sah Rusch fast ein wenig mitleidig an. »Genauso haben Sie bei den Wehrmachtskommissionen gesagt, und Sie haben sich durchgesetzt. Da war aber Krieg. Jetzt ist das etwas anderes, Herr Professor. Jetzt bestimmen Verwaltungsbeamte, was richtig oder nicht richtig ist. Und es gibt nicht mehr den Druck im Nacken, und alle sind wieder satt. Da sieht alles ganz anders aus. Im Kaiserreich hatte man Angst vor den Amtsstuben, unter Hitler Angst vor den braunen Uniformen. Und jetzt sind es wieder die Amtsstuben. In Deutschland läuft doch seit jeher alles nur im Kreis.«
»Da hat er recht, Walter«, sagte Lisa.
Professor Rusch hob den Kopf. Er holte seinen Tageskalender unter den Papieren hervor und überblickte die Rubriken. Dann klappte er ihn zu und stand auf.
»Ich habe eine halbe Stunde Zeit bis zur Gutachteruntersuchung«, sagte er. »Ich gehe zur Verwaltung. In einer halben Stunde haben wir alles geklärt, Schwabe. Bitte, warten Sie hier.«
Mit forschen Schritten verließ Rusch das Chefzimmer. Schwabe wartete, bis er die Tür hinter sich zugeworfen hatte. Dann setzte er sich und legte die Hände zwischen seine Knie.
»Er ist noch immer Optimist«, sagte er bewundernd. Lisa nickte.
»Er hat eine schreckliche, aber verzeihliche Philosophie aufgebaut«, sagte sie. »›Wir haben eine Diktatur überlebt‹, sagte er. ›Den furchtbarsten Krieg aller Zeiten, die Jahre des Hungers. Nun haben wir eine echte Demokratie – und jetzt kann aus dem Deutschen endlich ein Europäer werden.‹ Und in seinem Glück, endlich ein freier Mensch zu sein, sieht er nicht das rapide Anschwellen des bürokratischen Wasserkopfes. Auch in diesem Augenblick glaubt er an die freie Persönlichkeit und an die Überzeugungskraft der Wahrheit.«
»Ich hätte nicht kommen dürfen, Frau Doktor«, sagte Schwabe stockend. »Aber ich wußte mir keinen Rat mehr. Woher soll ich denn 10.000 Mark nehmen?« Er schluckte und fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Habe ich denn wirklich den Staat betrogen, weil ich mir ein neues Gesicht schenken ließ?«
Die Ärztin biß die Zähne aufeinander. »Schwabe«, sagte sie rauh. »Was auch kommt – wir werden einen Musterprozeß führen. Sie bezahlen keinen Pfennig für Ihr zerstörtes und wiederhergestelltes Gesicht.«
Im Block A saß der Verwaltungsdirektor des Versorgungskrankenhauses Schloß Bernegg sichtlich betreten in einem Ledersessel und sah Professor Rusch ernst an. Er wedelte mit dem Brief durch die Luft, als sei es ihm zu heiß geworden in dem großen Zimmer.
»Diese Forderung ist berechtigt, Herr Professor«, sagte er.
»Eine Infamie ist sie«, rief Rusch. »Verlangen Sie, daß ein Mensch mit dem Gesicht eines Ungeheuers herumläuft? Was heißt Funktionsherstellung? Es ist nicht damit getan, daß man wieder kauen und schlucken kann, daß man eine Nase und zwei Ohren hat, Lippen und ein rundes Kinn. Für mich ist die Funktion eines zerstörten Gesichtes erst dann wiederhergestellt, wenn dieses Gesicht auch den ästhetischen Maßstäben genügt.«
»Für Sie, Herr Professor. Sie haben eine großzügigere Auslegung der Bestimmungen als der Kostenträger unserer Klinik.« Der Verwaltungsdirektor legte den Brief vorsichtig auf den Tisch zurück. »Natürlich soll der Mann nicht wie ein Untier herumlaufen. Aber man muß zuerst die Kostenfrage klären, ehe man daran geht, ihn wieder schön zu machen.«
»Haben Sie ›schön‹ gesagt?« fragte Rusch gefährlich leise. »Haben Sie wirklich ›schön‹ gesagt?«
»Klammern wir uns nicht an Worte. Sie wissen, was ich meine. Also: Man muß klären, wer das bezahlt. Das Versorgungsamt? Es hat abgelehnt. Die Krankenkasse? Sie hat abgelehnt. Beide stehen auf dem Standpunkt, daß
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