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Das geschenkte Gesicht

Das geschenkte Gesicht

Titel: Das geschenkte Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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einzelnen Stapel. »Es ist alles schon sortiert, Frau Doktor.«
    »Das sehe ich! Wer hat das veranlaßt?«
    »Herr Oberarzt Dr. Urban.«
    Lisa Mainetti blätterte den Stapel von Zimmer 14 durch. Ein dicker Weihnachtsbrief war für Kaspar Bloch darunter. Absender: Prof. Dr. Th. Bloch. Aber kein amtliches Schreiben.
    »Ist das alles?« fragte Dr. Mainetti.
    »Ja, Frau Doktor.«
    »Mensch – denken Sie nach! Ist das alle Post für meine Station?«
    Der Gefreite drehte die Augen zur Decke. Es war offenkundig, daß er sich zu erinnern versuchte. Dann hellte sich seine Miene auf. Er stand stramm und hob dabei wie um Verzeihung bittend die Schultern.
    »Der Herr Oberarzt hat einen Brief selbst eingesteckt. Für den Bloch war er. Seine Mutter ist bei einem Luftangriff umgekommen. Der Herr Oberarzt will aber …«
    »Danke!« Lisa raffte die Stapel zusammen und verließ das Zimmer. Mit ein paar Schritten war sie an der Tür Dr. Urbans. Als sie eintrat, stand Dr. Urban gerade in Hose und Unterhemd vor einem Spiegel und rasierte sich. Er hatte für den Nachmittag eine Verabredung mit Frau Adam getroffen. Eine kleine Fahrt in die verschneiten Hügel. Für dieses Vergnügen wollte er sogar freiwillig die rührende Bescherung der Waisenkinder durch den Kreisleiter versäumen.
    »Nanu, liebe Kollegin!« sagte er und stellte den Rasierpinsel auf die Glasablage. »So forsch in eine männliche Behausung? Sie haben doch wohl keine erotische Ader in sich entdeckt?«
    Lisa Mainetti warf die Briefstapel auf den Tisch und trat nach hinten die Tür zu. Dr. Urban sah auf die Briefe und atmete tief auf.
    »Hier fehlt ein Brief!« sagte Lisa kalt. »Der Gefreite sagte mir, daß Sie ihn eingesteckt haben. Ich möchte ihn sehen.«
    »Dieser Idiot sieht Gespenster!« Dr. Urban kam mit seinem eingeseiften Gesicht näher. Er versuchte sogar zu lächeln. »Sie wollen mir doch wohl nicht unterstellen, Frau Kollega, daß ich Briefe unserer Patienten …«
    »Es war ein Brief an Kaspar Bloch. Angeblich teilte die Kreisleitung mit, daß seine Mutter …«
    »Ach das!« Dr. Urban lachte laut. Er wandte sich ab und ging zurück zum Spiegel, nahm seinen Rasierpinsel und seifte sich weiter das Gesicht ein. »Das war ein kleiner Trick von mir. Leider vergeblich. Ich glaube jetzt fast selbst, daß der Kerl das Gehör verloren hat. Bei so einer massiven …«
    Dr. Mainetti ließ ihn nicht aussprechen. Mit ein paar Schritten war sie bei Dr. Urban. Ganz dicht stand sie vor ihm. Seine kalten Augen sahen sie höhnisch und siegessicher an.
    »Wenn ich keine Frau wäre«, sagte sie leise, »befänden Sie sich jetzt in akuter Lebensgefahr. So aber kann ich Ihnen nur sagen, daß ich Sie zutiefst verachte.«
    »Es wird mir nicht weh tun.« Dr. Urban wandte sich ab und schraubte seinen Rasierapparat zu. »Der Zweck heiligt die Mittel, das sagte schon Machiavelli. Oder wollen Sie einen Simulanten decken, Kollega? Nun, mir scheint, er ist wirklich gehörlos. Was macht da schon der kleine Trick aus, er hat's doch nicht gehört.«
    Wortlos drehte sich Lisa Mainetti um und ging zurück auf ihr Zimmer. Kaspar Bloch sprang auf, als sie eintrat, sein Körper schüttelte sich wie in einem wilden Fieber.
    »Ist es wahr?« stammelte er. »Ist es wirklich wahr?«
    Lisa schüttelte den Kopf. »Nein!« sagte sie fest. »Er wollte Sie nur überführen.«
    Ohnmächtig fiel Kaspar Bloch ihr vor die Füße.
    Weihnachten.
    Im Keller der Horst-Wessel-Straße in Köln saß Ursula Schwabe vor einem geschmückten, dicken Tannenzweig, den sie sich heimlich aus dem Kölner Grüngürtel geholt hatte. Mit in Streifen geschnittenem Silberpapier und Pappsternen hatte sie den Zweig festlich geputzt und Erich Schwabes Foto daruntergestellt. Es zeigte einen lachenden Feldwebel, ein offenes, fröhliches, lebenslustiges Gesicht.
    Ein Gesicht, das es seit dem 4. Oktober 1944 nicht mehr gab.
    Drei Kerzen hatte Ursula angezündet. Aus dem Volksempfänger tönten leise die alten deutschen Weihnachtslieder, der Gesang von der stillen, heiligen Nacht und der seligen, fröhlichen Weihnachtszeit. Mit gefalteten Händen saß Ursula vor den drei flackernden Kerzen, dem kärglichen Tannenzweig und dem Bild aus der Vergangenheit. Hinter ihr bullerte der Eisenofen und durchdrang die Muffigkeit des feuchten Kellers mit einer Illusion von Wärme.
    Jetzt sitzen sie in Bernegg auch vor einem Weihnachtsbaum, dachte sie. Und Erich wird an mich denken, wie ich an ihn denke. Es war falsch, daß ich nicht mitgefahren bin.

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