Das geschenkte Gesicht
gehüllt, Wollschals um den Kopf gebunden, denn ›Berneggs Geheimwaffe‹ hatte keine Frontscheibe mehr. Der Wastl Feininger hatte sie vor Weihnachten heimlich herausgenommen und zerschlagen und die Scherben auf die Stube B/14 gebracht. Aus ihnen hatte Erich Schwabe sein Glasmosaik für Ursula gemacht.
Die Stube B/14 hing aus den beiden Fenstern und winkte Fritz Adam nach. »Det is unser ureigenster Wagen«, sagte der Berliner nachdenklich. »Kinda, ick hab' 'ne Idee! Det wird unsere Stubenkutsche für 'n Sonntagsbummel!«
»Pfeifen werden die uns was!«
»Uff'n Schrott lag det Biest. Fritze hat se wieder flott jemacht. Det is unsere Droschke. Ick werd' det der Mainetti schon beibiejen!«
Erich Schwabe beteiligte sich nicht an dem Abschied. Mehr als ein Monat seit der ersten Nasenoperation war vergangen, bis sich Professor Rusch entschloß, den Patienten wieder unters Messer zu nehmen. In einer mehr als zweistündigen Operation hatte er ihm ein knöchernes Nasengerüst aus Stücken des Schienbeins gebaut. Mit einer Präzision, die Lisa Mainetti stumm bewunderte, hatte er das Knochentransplantat so vorsichtig entnommen, daß das Periost nach allen Seiten hin geschont wurde, um den Osteoblasten ihre Regenerationsfähigkeit zu erhalten. Rusch atmete auf, als die Operation zu Ende war.
»Ich glaube, diesmal hat es geklappt«, sagte er zu Lisa. »Man darf es sich eben nicht zu einfach machen.«
Nun hatte Schwabe acht Tage strengste Bettruhe, lag auf dem Rücken und las Kriminalromane und historische Erzählungen aus der Lazarettbücherei. Nach Köln hatte er nichts geschrieben von der mißglückten ersten Operation und von der Gefahr der Blindheit, der er gerade noch einmal entronnen war. Dr. Mainetti hatte ihm alles ohne Beschönigung erzählt, und er war stark genug gewesen, mit einem verzerrten Lächeln zu sagen: »Na, dann eben noch mal, Frau Doktor. Die Nase muß auf jeden Fall wieder dran!«
»Jetzt sind se weg!« sagte der Berliner auf der Stube B/14. Man schloß die Fenster und setzte sich wieder an den Tisch zum Skatspiel. »Kinder, mit der Droschke fahr'n wa üba Land und orjanisieren Zusatzfressen! Ick möchte den seh'n, der beim Ankieken von fünf Köppen ohne Jesichter nich in die Hosen macht …«
»Bist a Erzviech!« sagte der Wastl anerkennend. »Schad, daß d' a Preiß bist …«
Mit der ›Bernegger Geheimwaffe‹ dauerte es zwei Stunden länger als gewöhnlich, ehe Fritz Adam und Dora Graff über die alte Mainbrücke fuhren. In der Altstadt schwelten an verschiedenen Stellen noch immer Brände von dem großen Luftangriff, der kurz zuvor über Würzburg niedergegangen war, ein träger Geruch von Rauch, verbranntem Holz und Lumpen und kaltem Pulverschmauch lag fettig und ätzend über der schönen Bischofsstadt am Main.
»Urban ist heute auch in Würzburg«, sagte Dora Graff, als sie kurz auf der Brücke hielten, den Main hinunterblickten und hinüber zu den verwahrlosten, früher so herrlichen Weinbergen von Randersacker. Ein Posten auf der Brücke winkte ihnen zu.
»Weiterfahren!« brüllte er.
»Verhüte der Himmel, daß wir den treffen! Der kriegt es fertig und macht mit uns mitten auf der Straße Wagenputzen und Fahrexerzieren.«
Über zwanzig verschiedene Posten und Polizeiwachen fragten sie sich durch zur Heeresapotheke. Eine Schlange von Sanitätswagen wartete vor dem Gebäude. Sie holten Verbandszeug, Medikamente, Schienen, Tragen. Als Adam mit seinem keuchenden Wagen an die Schlange heranfuhr, empfingen sie Flüche, Kommandos und saftige Landserausdrücke.
»Das kann lange dauern«, sagte Dora Graff. »Fahr den Wagen an die Seite, Fritz. Ich gehe zum Stabsapotheker und versuche, uns dazwischenzuschmuggeln.«
Sie stieg aus, band den Schal ab, ordnete die Haare unter der Schwesternhaube und ging durch die wartenden Reihen zu dem von drängenden Menschen völlig verstopften Eingang.
»Platz da für das Karbolmäuschen!« riefen einige.
Lachen quoll auf. Jemand grölte: »Der Nachtisch für den Stabsapotheker.«
Die Landser brüllten begeistert. Dora Graff reagierte nicht auf die wilden Späße. Sie drängelte sich zum Eingang vor und wurde nach ein paar weiteren Bemerkungen durchgelassen.
Fritz Adam ging unterdessen spazieren. In den Trümmern der zerbombten Häuser gruben die Bewohner nach brauchbaren Überbleibseln. Eine Matratze, ein zerbeulter Topf, ein Mantel, ein Stuhl mit drei Beinen, es gab Kleinholz genug, um das vierte zu ersetzen, ein Fotoalbum mit Bildern aus
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