Das geschenkte Leben
ändern.«
»Dann wird er das Bild nicht malen können. Hugo steht so fest zu seinen Grundsätzen wie Joe zu den seinen. Er würde nicht zulassen, daß ein Bild von ihm den Titel ›Jehova‹ erhält. In seinen Augen wäre das eine Gotteslästerung. Rede du mit Joe darüber. Aber du hast mir noch nicht gesagt, wie Joe zu seiner Ausbildung gekommen ist.«
»Ach so. Nun, Joe konnte immer zeichnen, nehme ich an. Als er ungefähr vierzehn war, nahm er einen Haufen Zeichnungen und ging zu einem Maler, von dem er gehört hatte. Dieser Maler war ziemlich bekannt und hatte Ausstellungen gemacht und alles, aber er arbeitete auch kommerziell, malte Titelbilder für Zeitschriften und so und verdiente eine Menge Geld damit. Vielleicht war er von Joes Zeichnungen nicht sehr beeindruckt, aber er machte ein Geschäft mit ihm Joe durfte in seinem Atelier herumhängen und zeichnen und sein Material benützen und ihm bei der Arbeit zusehen und als Gegenleistung mußte er Botengänge machen, das Atelier aufräumen und gelegentlich Modell stehen.
Anscheinend war es für beide ein Gewinn, denn nach einiger Zeit machte der Maler – Mister Tony, wie Joe ihn nennt – ihn zu seinem Schüler und bildete ihn aus. Er war ein strenger Meister. Er ließ Joe nicht mit einem breiten Pinsel oder einem Spachtel malen. Er ließ ihn nicht abstrakt oder expressionistisch oder psychedelisch malen – er ließ ihn zeichnen. Perspektive, Anatomie, Komposition. Er drillte Joe auf die handwerkliche, akademische Malerei, ließ ihn alte Stilleben kopieren, damit er Pinseltechniken und den Umgang mit Farbwerten lernte. Ich glaube, es dauerte drei Jahre, bis er Joe an die modernen Techniken heranließ. Joe sagte oft, daß er Mister Tony alles verdankt und daß er ohne diese Lehrzeit heute noch ein Pfuscher wäre. Er war fünf Jahre lang Schüler bei Mister Tony und lernte mehr bei ihm, als er an einer Akademie hätte lernen können, jedenfalls über Techniken. Was ihm fehlt, sind Vielseitigkeit und Experimentierfreude. Vielleicht bringe ich ihn soweit, daß er mit Stilleben und Landschaften anfängt, oder daß er mal in eine Bar geht und dort Skizzen macht. Hier ist er so abgekapselt, malt einen Akt nach dem anderen – manchmal habe ich Angst, daß er zu einseitig wird, sich in eine bestimmte Masche verrennt und nicht mehr davon loskommt. Es wäre nicht nur schade um sein Talent, sondern auch gefährlich für uns, denn eines Tages würde er seine Sachen vielleicht nicht mehr loswerden.«
Joan Eunice war beeindruckt.
»Du bist eine sehr kluge Frau, Gigi. Ein großes Glück für Joe, daß er dich gefunden hat. Sag mal – bewacht er dich, wenn du einkaufen gehst?«
»Wie? Natürlich nicht. Sicher, manchmal geht er mit und hilft tragen, aber nicht, um mich zu beschützen. Er fährt mit mir im Aufzug, wenn es eine Tageszeit ist, wo er leer sein könnte – schließlich sind wir nicht dumm und legen es nicht darauf an, eine über den Kopf zu kriegen. Aber ich laufe allein herum, wenn ich was zu erledigen habe. Als Mädchen muß man nur darauf achten, wann und wo man geht. Und je unauffälliger man sich anzieht, desto sicherer kann man sich fühlen.«
»Hauptsache, du gehst nie in einen Park …«
»Nicht mal mittags würde ich in einen Park gehen! Aber hier ist auch keiner in der Nähe, und wir kommen praktisch nie aus unserem Viertel heraus. Ich bin schon einmal vergewaltigt worden und keineswegs scharf darauf, von einer Bande Halbwüchsiger aufs Kreuz gelegt zu werden, das kannst du mir glauben. Sie sollten jeden Park in der Stadt einebnen.«
»Sie sollten die ganze Stadt einebnen. Aber du hast es noch gut, Gigi, du kannst dich ziemlich frei bewegen. Ich kann es nicht. Selbst wenn meine Leibwächter dabei sind, wage ich nicht ohne Schleier auszugehen, aus Angst, man könnte mich erkennen. Die ganze Zeit muß ich auf der Hut sein. Mein Haus muß stark genug sein, eine Bombe auszuhalten, die jemand dagegen wirft – das ist bereits zweimal passiert. Ich muß ständig mit allem rechnen, von Entführern und Mördern bis zu harmlosen Spinnern, die mich anfassen wollen. Und das ist nicht erst jetzt so; als ich der alte Johann Smith war, hatte ich die gleichen Probleme. Zuviel Geld zieht Kriminelle und Verrückte an, und mir bleibt nichts anderes übrig, als mich Tag und Nacht mit Wächtern zu umgeben und in einem Haus zu leben, das eine Festung ist. Von dem, was man ein ›normales Leben‹ nennt, bleibt nicht viel; ich bin eine Gefangene. Gigi, kannst du dir
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