Das geschenkte Leben
lassen.«
»Richtig. Ich darf dieses Gesicht nicht verändern. Es ist Eunices, und ich bin seine Treuhänderin. Wenn ich es veränderte, würden verschiedene Leute enttäuscht sein. (Ich an erster Stelle, Joan.) (Ich werde dein leibliches Gesicht nicht verpfuschen, Eunice. Ich halte es in Ehren.) Nein, ich werde es lassen, wie es ist. Aber ich muß es verschleiern. Es war zu oft im Fernsehen und in den Zeitungen.«
*
Joan Eunice betrachtete das fast vollendete Gemälde beinahe mit Ehrfurcht. Sie wußte, was für einen schönen Körper sie geerbt hatte; sie wußte, daß Gigi eine Schönheit von anderer Art war; sie konnte sehen, daß diese zwei Lesbierinnen sie selbst und Gigi darstellten, und es gab kein Detail, in dem das Gemälde die Ähnlichkeit verleugnet hätte.
Und doch war Joe Brancas Realismus Fantasie. Diese zwei Nymphen strahlten eine wollüstige Sinnlichkeit aus, die sie und Gigi ganz gewiß nicht empfunden hatten, als sie auf der zerrissenen Decke gelegen und über alles mögliche geklatscht hatten.
»Was meinst du?« fragte Gigi. »Kannst ruhig offen reden; Joe macht sich nichts aus anderer Leute Ansichten. Für ihn zählt nur seine eigene Meinung.«
Joan seufzte. »Wir sind es, und wir sind es nicht. Ich verstehe nicht, wie er diesen Effekt hineingebracht hat. Wir lagen stundenlang da und redeten über alles, bloß nicht über das, was die Botschaft dieses Gemäldes ist.«
»Der Ausdruck war im Foto, Joan«, sagte Joe hinter ihnen. »Ohne den Projektionstrick hätte ich für das Bild eine Woche gebraucht.«
»Aber ich finde es großartig, Joe. Ich möchte es kaufen!«
»Nein.«
»Eh? Ach, Unsinn. Du wolltest es irgendeinem alten Voyeur verkaufen. Fünfundneunzig Jahre ist weiß Gott alt – und wenn ich das Bild sehe, fühle ich mich genug wie ein Voyeur.«
»Es gehört dir.«
»Was? Joe, das kannst du mir nicht antun. Du wolltest es verkaufen, du sagtest es selbst. Gigi, hilft mir.«
Gigi zog es vor, nicht zu antworten. Joe sagte dickköpfig: »Es gehört dir, Joan. Du willst es, du nimmst es.«
»Joe, du bist der größte Dickschädel, den ich je gekannt habe, und ich weiß nicht, wie Gigi es mit dir aushalten kann. Wenn du mir dieses Bild schenkst, werde ich es sofort zerstören …«
»Nein!« keuchte Gigi.
Joe hob die Achseln. »Deine Sache. Nicht meine.«
»… aber wenn du es mir zum üblichen Preis verkaufst, werde ich es mitnehmen und Jake Salomon schenken, damit er es über sein Bett hängen und jeden Morgen glücklich aufwachen kann. Das ist die Alternative, Joe. Schenkst du es mir, so werde ich es in Fetzen schneiden. Verkaufst du es mir, so werde ich es Jake Salomon geben. Natürlich kannst du es behalten oder irgendwo zum Verkauf aushängen. Dann müßte ich einen Detektiv mieten und feststellen lassen, wo es hängt, damit ich es durch einen Agenten kaufen kann. Was ich dann damit machen werde, bleibt mein Geheimnis.«
Gigi sagte: »Sei nicht so eigensinnig und stur, Joe.«
»Oh, die Preise setze ich fest. Meistens verkaufe ich die Bilder nach dem Format.«
»Ja? Und wieviel kostet diese Größe?«
»Nun, für diese Größe versuche ich zweihundertfünfzig zukriegen.«
»Lächerlich!«
»Joan, wenn man bedenkt, daß Joe und ich gestern den halben und heute den ganzen Tag darauf verwendet haben – von deiner Zeit gar nicht zu reden –, und daß wir meistens die Hälfte für Kommission zahlen müssen, ist es nicht sehr viel …«
»Gigi, ich meinte lächerlich billig. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren nicht viel Kunst gekauft und weiß nicht, wie die Preise sind, aber es ist klar, daß dieses hier nicht weniger als ein Tausend-Dollar-Bild ist. Ich kann euch eins sagen: Wenn Jake stirbt und dieses Gemälde zur Auktion kommt, dann wird es nicht für einen bloßen Tausender weggehen denn ich werde bei dieser Auktion sein und dafür sorgen, daß es in der Familie bleibt. Aber ich erhöhe den Preis jetzt nicht; das war nie meine Art. Du hast einen Preis von zweihundertfünfzig genannt; ich bin bereit, ihn zu zahlen. Der Verkauf ist perfekt.«
»Joan, du hast mich nicht ausreden lassen.«
»Oh. Entschuldige, Gigi.«
»Ich versuche, für diese Größe zweihundertfünfzig zu kriegen, wenn ich es in einen Laden hänge. Aber die Hälfte davon geht als Kommission an den Ladenbesitzer. Das ist die einzige Art und Weise, wie ich Ausstellungsfläche kriegen kann. Also ist der Preis für dich einhundertfünfundzwanzig.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Einfach
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