Das geschenkte Leben
Anlaufplatz wußte. Die Gefahr, erwischt zu werden, war dort natürlich geringer, weil der Operationsbereich der Küstenwache zwölf Meilen vor den Bahamas endet. Aber ein Boot der Küstenwache entdeckte uns vierzig Seemeilen vor den Florida Keys auf Ostkurs und funkte uns wegen der Sturmwarnung an und wollte wissen, wohin wir wollten. Der Skipper sagte Miami und ging dann auch schnell auf Nordkurs, aber da hatten die Brüder schon Lunte gerochen und kamen. Als sie unseren Kahn bis über die Lademarke im Wasser liegen sahen, wurden sie erst recht mißtrauisch, gingen längsseits und schickten Leute an Bord, um unsere Ladung zu kontrollieren. Das war es, dann.« Finchley zuckte wieder die Achseln. »Pech. Ich hatte mit den acht vorangegangenen Reisen schon achttausend Dollar verdient, aber als ich nach zwei Jahren und vier Monaten aus dem Knast kam, war von dem Geld natürlich nichts mehr da. Die Familie mußte leben.«
»Und dann war es aus mit der christlichen Seefahrt, wie?«
»Natürlich. Verbot für fünf Jahre. Aber ein halbes Jahr später kriegte ich diesen Fahrerjob bei Mr. Smith.«
»Ich verstehe. Das war eine interessante Geschichte, Tom, aber ich will Sie nicht länger vom Frühstück fernhalten. Bis später.«
»Ja, Sir.« Tom verließ den kleinen Brückenraum. Jake Salomon zog seine Schiffermütze tiefer in die Stirn, blinzelte zum gleißenden Meereshorizont, wo er vom Klüverbaum zerteilt wurde, und begann entspannt und zufrieden vor sich hin zu summen.
So saß er noch eine halbe Stunde später, als seine Frau hereinkam und seinen Nacken küßte.
»Hallo, mein Liebling«, sagte er.
»Ich möchte wissen, ob du dich jemals an den Namen eines Mädchens erinnern kannst. Du nennst uns alle ›Liebling‹, und fertig.«
»Nur weil es einfacher ist. Aber du bist die einzige, zu der ich ›mein Liebling‹ sage. Und ich kann mich an deinen Namen erinnern – er ist Salomon.«
»Jake, du mußt in deiner Marinezeit ein unglaublicher Herzensbrecher gewesen sein. Mit deiner Beredsamkeit konntest du dich doch bei jeder Frau einschmeicheln – und dich hinterher aus allen Problemen wieder herausreden.«
»Keineswegs, meine Dame, ich war ein süßer, unschuldiger Bursche. Ich habe mich lediglich an das alte Seefahrergesetz gehalten: ›Wenn der Anker gelichtet ist, sind alle Rechnungen bezahlt.‹«
»Ja, und in jedem Hafen hast du ein paar kleine Juden hinterlassen. Wie steht es übrigens mit Gigi? Hast du deine Beredsamkeit auch schon bei ihr eingesetzt?«
»Meine Dame, ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie sprechen.«
»Erzähl das, wem du willst, aber nicht mir. Ich bin ziemlich sicher, daß du die zweite Mrs. Branca schon fast so gut kennst wie die erste. Aber du mußt mir das nicht bestätigen – ich will dir nur gratulieren. Gigi ist wirklich ein Schatz.«
»Weib, du bekommst langsam Übung darin, überraschende Schlußfolgerungen zu ziehen.«
Mrs. Salomon öffnete ein Schubfach und nahm den Sextanten aus seinem schützenden Futteral, blickte zur Uhr. »Ist das die genaue Zeit, Liebling?«
»Willst du die wehrlose Sonne schießen?«
»Ich werde dir eine Positionsberechnung machen, daß du dich wunderst, Liebster. Ich habe alles darüber gelesen, und Tom hat mir gezeigt, wie es gemacht wird.«
»Wenn du bis auf fünfzig Seemeilen an unsere richtige Position herankommst, gebe ich heute abend für die ganze Mannschaft einen aus.«
»Biest. Ekel. Und ich eine werdende Mutter. Gestern abend hatte ich unsere Position mehr als zehnmal so genau. Allmählich kriege ich den Bogen raus.«
»Joan Eunice, warum diese Leidenschaft, mit den alten Seefahrern zu wetteifern? Man könnte meinen, daß Radio und Satelliten und dergleichen nie erfunden worden wären.«
»Weil es Spaß macht, Liebling. Ich werde dieses Navigationsexamen mit einer glatten Drei bestehen und meine Lizenz für kleine Fahrt einstecken. Nachdem ich dieses Baby in seine Wiege abgeladen habe und wir nicht länger in Küstengewässern bleiben müssen, werde ich jeden Tag dreimal die Position bestimmen und unseren Kurs berechnen, bis hinüber nach Hawaii. Wetten, daß ich Landkennung bei Hilo unter drei Meilen machen werde? Natürlich ist es nicht notwendig, aber es verschafft Befriedigung. Und was, wenn es sich doch einmal als notwendig erweisen sollte? Angenommen, Krieg bräche aus, und im Äther würde es auf einmal still? Dann könnte es sehr nützlich sein, einen sicheren Himmelsnavigator an Bord zu haben. Tom kann die Sonne
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