Das geschenkte Leben
sitzen hier ziemlich eng beieinander; wir sollten uns entspannen und unseren Spaß daran haben. Ich kann dir eine Menge über Weiblichkeit beibringen, wenn du mich läßt. Übrigens sehe ich, was du den ganzen Tag denkst, und du hast selber nicht weniger schmutzige Ausdrücke auf Lager.)
(Darauf kommt es nicht an. Eine Person sollte keine Sprache gebrauchen, die andere beleidigt.)
(Habe ich nie getan, Boß. In der Öffentlichkeit, meine ich. Aber ich bin jetzt zu Hause – oder ich bildete mir ein, daß ich es sei. Willst du, daß ich wieder fortgehe?)
(Nein, nein. Äh – du warst fort?)
(Gewiß. Tot, glaube ich. Aber jetzt bin ich hier, und ich will bleiben. Wenn ich mich entspannen und fröhlich sein kann und nicht die ganze Zeit aufpassen muß, daß ich dich nicht beleidige. Außerdem sehe ich nicht ein, wieso ein mehrsilbiges lateinisches Wort damenhafter sein soll, als ein einsilbiges mit der gleichen Bedeutung. Du und ich denken mit dem gleichen Gehirn – deinem –, essen mit dem gleichen Mund – meinem –, und pinkeln durch das gleiche Loch. Also warum sollten wir nicht auch das gleiche Vokabular benutzen. Und wenn ich vom Pinkeln rede – oh, Verzeihung, ich hätte urinieren sagen sollen …)
(Keinen Sarkasmus, Mädchen!)
(Wen nennst du hier ›Mädchen‹, Puppe? Untersuch dich mal selbst, na los, faß dich schon an. Das sind zwei Dinger, was, Boß? Früher hast du sie immer angestarrt, du geiler alter Bock. Hat mich richtig heiß gemacht. Aber was ich über das Urinieren sagen wollte, jetzt, wo wir nicht mehr an den Geräten hängen, werden wir über kurz oder lang nach der Bettpfanne klingeln müssen … und ich kann schließlich nicht den Raum verlassen, während du pinkelst. Jedenfalls wage ich es nicht. Es ist dunkel dort draußen, und ich würde vielleicht nicht wieder zurückfinden. Also mußt du dich entweder an solche Dinge gewöhnen, oder mich für immer fortjagen, oder warten, bis deine Blase platzt.)
(Okay, Eunice, ich habe verstanden.)
(Habe ich dich wieder beleidigt, Boß?)
(Eunice, du hast mich noch nie beleidigt. Verwundert oder in Erstaunen versetzt, das schon, aber nie beleidigt.)
(Du solltest auch nicht schockiert sein, wenn du Einzelheiten über mein Geschlechtsleben hörst, denn sie sollten dir helfen, mit deinem eigenen Geschlechtsleben zurechtzukommen. Das heißt unserem. Oder war es dein Ernst, was du Doktor Garcia über die ›unerträgliche Vorstellung, als Frau sexuell aktiv zu sein‹ vorgebetet hast?)
(Äh – natürlich war es mein Ernst. Das heißt, ich weiß nicht, Eunice. Ich bin noch nicht lange genug eine Frau, um zu wissen, was ich will. Zum Teufel, statt wie ein Mädchen zu denken, liebäugle ich immer noch mit Mädchen. Mit dieser rothaarigen Krankenschwester, zum Beispiel.)
(Du meinst Winnie – Miss Gersten, nicht? Das habe ich bemerkt.)
(Eifersüchtig?)
(Eifersucht ist für mich bloß ein Wort aus dem Wörterbuch, Boß. Wenn Winnie dich zurechtmacht und sich über dich beugt, schaust du jedesmal in den Ausschnitt ihres Kittels. Kein Büstenhalter, ich weiß. Winnie ist sehr weiblich, und sie weiß es. Wenn du in deinem Körper so männlich wärst wie in deinem Kopf, würde ich ihr nicht über den Weg trauen.)
(Sagtest du nicht eben, du seist nicht eifersüchtig?) (Nur so eine Redensart, Boß. Mußt du jedes Wort auf die Waagschale legen?)
(Genauigkeit war immer mein Hobby.)
(Das ist nur eine Ausrede. Im Grunde bist du einfach altmodisch.)
(Das glaubst du. Laß mich dir eines sagen, Eunice. In meiner Jugend habe ich nicht anders gelebt als du, auch wenn es damals vielleicht etwas riskanter war, insbesondere, wenn man wie ich in einer frommen Gegend aufgewachsen ist. Jedenfalls habe ich alles, was du jemals getan oder ausprobiert hast oder vielleicht auch nur vom Hörensagen kennst, schon getan, bevor deine Großmutter auch nur geboren wurde – und wenn es mir gefiel, habe ich es wieder und wieder getan, ganz gleich, wie riskant es war.)
Die zweite Stimme schwieg einen Moment. (Vielleicht fangen wir heutzutage einfach nur früher an.)
(Das möchte ich bezweifeln.)
(Oh, da bin ich aber ganz sicher. Ich habe dir doch erzählt, wie alt ich war, als ich geschwängert wurde. Fünfzehn. Und angefangen hatte ich ein Jahr früher.)
(Eunice, meine Liebe, der Hauptunterschied zwischen Jung und Alt, der sogenannte Generationskonflikt, besteht ganz einfach darin, daß die Jungen nicht glauben wollen oder können, daß die Alten auch einmal jung waren …
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