Das geschenkte Leben
für die Alten hingegen ist ihre Jugend etwas, das erst letzte Woche passiert ist, und es ärgert sie fürchterlich, wenn jemand bezweifelt, daß sie überhaupt einmal jung waren.)
(Boß?) Der Gedanke klang sanft und leise.
(Ja, Liebste?)
(Boß, ich habe immer gewußt, daß du unter all diesen häßlichen Leberflecken jung warst – ich meine, ich wußte das, als ich noch lebte – und ich wünschte mir sehnlich, daß du nicht so alt und krank wärst. Es tat mir weh, zu sehen, wie sehr es dich schmerzte. Manchmal habe ich geweint, wenn ich heimkam. Und ich gehörte zu den ersten, die unterzeichnet haben, als der Spendenaufruf verbreitet wurde. Vorher konnte ich es nicht tun, sonst hättest du es herausfinden und verbieten können.)
(Eunice, Eunice!)
(Glaubst du mir nicht?)
(Doch, Liebes … aber du bringst uns zum Weinen.)
(Dann putz dir die Nase. Es ist doch alles gut gegangen. Aber du wolltest etwas über mein Kind hören – würde dich das von den Problemen ablenken, die wir gar nicht mehr haben?)
(Äh … aber nur, wenn du wirklich darüber reden willst.)
(Natürlich, das habe ich doch gesagt.)
(Also gut, was ist es denn? Junge? Mädchen? Wie alt jetzt. Dreizehn? Und wo ist das Kind?)
(Boß, ich weiß es nicht. Ich unterschrieb eine Verzichterklärung, und der gesetzliche Vormund fand Leute, die es adoptieren. So kriegte mein Vater das Geld zurück, das er als Strafe hatte zahlen müssen. Mit fünfzehn hatte ich ja keine Lizenz, ein Kind in die Welt zu setzen.)
(Eunice, wenn dein Kind lebt, können wir es finden.)
Die zweite innere Stimme antwortete nicht. (Nun, Eunice?)
(Boß, wenn es irgendwo ein Kind gibt, beinahe dreizehn, jetzt, so sind wir einander fremd. Ich bin nicht die Mutter, die es liebte und aufzog. Ich bin niemand. Wirklich niemand – du vergißt, daß ich getötet wurde. Wenn wir dieses Kind fänden, könnten wir nicht zugeben, daß ich noch lebendig bin – wieder lebendig, meine ich, in deinem Kopf. Das dürfen wir nicht eingestehen, sonst stecken sie uns in eine Anstalt, und wir würden niemals frei sein. Liebster Boß, du hältst mich für eine Einbildung deiner Fantasie, nicht wahr?)
Johann antwortete nicht. Die Stimme fuhr fort: (Kannst es ruhig zugeben, Boß; es beleidigt mich nicht. Ich weiß, daß ich ich bin. Ich brauche keine Beweise. Aber du brauchst sie. Du willst wissen, wie das möglich ist. Gib es zu, Liebling. Sei offen mit mir.)
(Ich möchte es gern wissen, Eunice. Aber wenn ich verrückt bin, wenn du nur meine eigene schizophrene Fantasie bist, die in meinem Gehirn redet, dann – dann möchte ich es lieber nicht wissen.)
(Ich weiß selbst nicht, wie es dazu gekommen ist. Aber wir haben alle Zeit der Welt. Beweise werden sich finden – etwas, das ich weiß und das du nicht wissen kannst, außer durch mich.)
(Das klingt vernünftig, Eunice. Warten wir also ab.)
(Weißt du, ich hätte wirklich gern ein Kind von dir gehabt. Erzählst du mir von deinen Kindern?)
(Meinen angeblichen Kindern.)
(Angeblich?)
(Eunice, meine erste Frau war ein süßes Mädchen, und sie ähnelte dir sehr. Doch die Ärmste starb im Kindbett, als sie meinen einzigen Sohn gebar, der auch schon lange tot ist. Agnes hatte mir das Versprechen abgenommen, wieder zu heiraten, und das habe ich auch getan. Mit meiner zweiten Frau hatte ich eine Tochter, doch sie ließ sich von mir scheiden, bevor das Kind ein Jahr alt war. Ich heiratete zum dritten Mal – wieder eine Tochter, und wieder eine Scheidung. Ich habe meine Töchter nicht besonders gut gekannt und überlebte sowohl sie wie auch ihre Mütter. Aber … Eunice, du hast selbst eine seltene Blutgruppe, weißt du, wie sich die Blutgruppen vererben?) (Nein, nicht genau.)
(Nun, da ich einen ausgeprägten mathematischen Sinn habe, begriff ich das Prinzip sofort, als ich zum ersten Mal eine entsprechende Tabelle sah. Da ich meine erste Frau im Kindbett verloren hatte, stellte ich bei der zweiten und dritten sicher, daß ein geeigneter Spender greifbar war, bevor sie in die Wochenstation kamen. Meine zweite Frau hatte Blutgruppe A, die dritte B – Jahre später erfuhr ich dann, daß meine beiden angeblichen Töchter jeweils die Blutgruppe 0 hatten.)
(Ich glaube, da ist mir jetzt irgend etwas entgangen, Boß.) (Eunice, wenn der Vater Blutgruppe AB hat, kann er unmöglich ein Kind mit der Gruppe 0 zeugen. Nein, warte – ich habe das meinen Töchtern nie vorgeworfen, schließlich konnten sie nichts dafür. Ich hätte Evelyn und Roberta
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