Das geschwaerzte Medaillon
aber immer noch ein Eingang. Der Boden hatte eine kleine Treppe geschaffen. Wieder sah ich mich um und hoffte, dass ich noch nicht entdeckt worden war. Mir fiel fast die Kinnlade herunter, als mir erst jetzt auffiel, wo ich eigentlich war. Über mir ragte Leanders Statue in die Höhe. Mein Blick huschte noch einmal hinauf und dann wieder zu diesem verborgenen Eingang. Ich kletterte schnell hinein. Jetzt musste ich einfach wissen, was sich dahinter verbarg.
Kaum dass ich mich gebückt hindurch gezwängt hatte und von undurchdringlicher Finsternis umgeben war, erklang erneut das Knarren. Nur klang es dieses Mal bedrohlicher. Der Grund dafür lag ganz einfach darin, dass sich der Eingang hinter mir verschloss und ich nicht die geringste Idee hatte, wie er wieder aufging. Ich wollte gerade versuchen, durch den winzigen Spalt zu huschen, der noch offen stand, als ein Zischen hinter mir mich davon abhielt. Licht erstrahlte plötzlich und erhellte meine Umgebung. Fackeln, die durch eine merkwürdig schmierige Schnur verbunden waren, hingen in regelmäßigem Abstand an der Wand und verbreiteten ein ungewohnt helles, klares Licht. Mir stockte der Atem. Vor mir lag ein Tunnel. Keiner der Tunnel, wie sie aus der Stadt hinausführten. Dieser war feiner gearbeitet und von einer glatten, geschmeidigen Oberfläche. Der Boden war mit gleichgroßen Steinen gepflastert und wies nicht den kleinsten Erdklumpen auf. Kurz unter der Decke rankte sich ein verzierendes Muster entlang. Es sah aus, als wäre es vor langer Zeit an die Wand gemalt worden. Die Farbe war schon leicht verblasst, verschleierte aber nicht die Brillanz, die sie mal gehabt haben musste. Weiter hinten erahnte ich ein Bild, das die Fläche unterhalb der Girlande einnahm. Das hier war kein normaler Tunnel. Er war bedeutend. Und er war geheim. Ich versuchte mich, so leise wie nur irgend möglich, durch den Tunnel hindurchzubewegen. Meine Aufregung machte es aber nicht gerade einfach. Meine Schritte wurden immer schneller und mein Herz schien sie stets überholen zu wollen. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich das erste Mal, seit wir hier unten gefangen waren, Glück hatte. Das hier konnte etwas Gutes sein. Das hier musste einfach etwas Gutes sein.
Ein uralter Plan
Der Tunnel, oder eigentlich eher der Gang, schien sich immer weiter in die Tiefe zu winden. Der Gedanke, eventuell auf der untersten Ebene der Stadt herauszukommen, war nicht gerade beruhigend oder ermutigend. Ich fürchtete mich vor dem Gedanken, dass das hier nicht der buchstäbliche Ausweg war. Die Bilder, an denen ich immer wieder vorbei kam, hatten etwas erschreckend Vertrautes. Ich erkannte die Pinselstriche. Auch wenn sie nicht so eindeutig waren wie die freie und doch sanfte Pinselführung von Monet oder die starke und wilde von VanGogh. Diese hier waren kontrolliert. So kontrolliert, dass es schon zwanghaft wirkte. Selbst hier, wo ganz sicher kaum eine Person entlang ging, war Leander gegenwärtig. Er hatte diese Bilder gemalt und das war Grund genug für mich, sie nicht anzusehen. Noch so eine Überraschung, wie vor dem Garten, brauchte ich wirklich nicht. Und dennoch gelang es mir nicht, über jedes Bild hinwegzusehen. Immer wieder erkannte ich Ausläufe von Bildern. Meistens schienen sie eine paradiesische Umgebung zu zeigen. Noch ein Grund, weshalb ich meinen Blick zunehmend nur noch auf den Boden richtete. Wie lange lief ich eigentlich schon durch diesen Gang? Wann würde es Keira oder sogar Leander auffallen, dass ich nirgends zu finden war. Mein Herz schlug mit einem Mal schneller. Was, wenn ich gerade die einzige mögliche Chance auf Flucht zunichte machte? Wenn Leander mich suchte und dann hier fand? Dieser Tunnel war geheim. So viel war sicher und ich war mir auch sicher, dass es sein Geheimnis war. Sein geheimer Gang, von dessen Existenz nur er wusste. Den nur er beschützte. Wenn das hier ein Weg hinaus war, dann musste ich hier weg. Wieder einmal würde sich mein Wissen als Gefahr für alle anderen erweisen, wenn ich nicht aufpasste. Ich drehte mich bereits um, noch bevor mein Gehirn die bewusste Entscheidung getroffen hatte. Ich rannte jetzt. Rannte den Gang hinab und verwendete meine ganze Konzentration darauf, nicht zu stolpern. Es dauerte nicht lange, bis meine Muskeln brannten und ein Stechen in meinen Seiten ausbrach. Ich war definitiv kein Langstreckenläufer oder Sprinter. Eigentlich war ich überhaupt nichts, was man durch einen Sportbegriff definieren konnte. Und dennoch
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