Das Gesetz der Knochen: Thriller (German Edition)
Knochen waren nass und schimmerten fast wie die Oberfläche von Perlen. Korey hatte Diane geraten, die Knochen während der Untersuchung nass zu halten, deswegen stand eine Sprühflasche auf dem Tisch. Außerdem hatte Korey bereits ein Bad aus Alkohol und destilliertem Wasser vorbereitet, in das er die Knochen eintauchen würde, wenn Diane ihre erste Analyse beendet hatte.
Plymouth X war eine Frau. Dies war an ihrem Becken abzulesen, das breit und flach wie eine Wiege geformt war. Außerdem hatte sie in ihrem Leben wenigstens ein Kind zur Welt gebracht. Ihre Weisheitszähne waren gerade dabei durchzubrechen. Das mediale Ende ihres Schlüsselbeins hatte gerade begonnen, sich mit seiner Epiphyse zu vereinigen. Dieser Vorgang war auch an ihren Oberarmen und ihren Oberschenkelknochen noch nicht zum Abschluss gekommen. Plymouth X war also noch jung – zwischen 16 und 22, nahm Diane an. Viel zu jung, um zu sterben.
Das jüngste Magazin, das sie im Auto gefunden hatten, stammte aus dem Jahr 1942. Wenn man einmal annahm, dass Plymouth X in diesem Jahr zu Tode kam, wäre sie jetzt etwa achtzig Jahre alt. Sie könnte also noch leben, wenn ihr nicht jemand den Schädel eingeschlagen hätte. Diane untersuchte den stabförmigen Bruch mit einer Handlinse. Die Ränder waren glatt außer einer Kerbe im Knochen. Es sah so aus, als ob der Gegenstand, der diesen Bruch verursacht hatte, eine kleine hervorstehende Stelle, wie den Grat einer Waffe oder eine andere Unregelmäßigkeit, gehabt hätte.
Nirgends waren irgendwelche verheilten Brüche zu erkennen. Eine eigentümliche Charakteristik entdeckte Diane, als sie nach Anzeichen für eine Rechts- oder Linkshändigkeit suchte: Die Abschrägung der rechten Gelenkgrube ihres Schulterbeins war größer als die ihrer linken. Dies war gewöhnlich ein Anzeichen, dass das rechte Schultergelenk mehr belastet und bewegt worden war, üblicherweise das Anzeichen für einen Rechtshänder. Das ging im Allgemeinen auch mit größeren Muskelansätzen am dominanten Arm und der dominanten Schulter einher. Im Gegensatz dazu waren die Muskelansätze von Plymouth X auf ihrem linken Arm und ihrer linken Schulter größer als auf ihrem rechten Arm und ihrer rechten Schulter. Ihre Gelenkgrube wies sie also als Rechtshänderin aus, während ihre Muskelansätze auf eine Linkshändigkeit hinwiesen.
Diane hatte gelesen, dass es einen Beruf gab, der zu einer solchen Eigentümlichkeit führen konnte – der der Kellnerin. Wenn man ein schweres Tablett mit der weniger dominanten Hand balancierte, blieb die dominante Hand für andere Tätigkeiten frei. Eine rechtshändige Kellnerin würde also ihr Tablett mit der linken Hand tragen. Hatte Plymouth X also in ihrem relativ kurzen Leben als Kellnerin gearbeitet? Diane musste an die weiße Schürze denken, die man bei ihrer Kleidung gefunden hatte.
Diane befeuchtete den Schädel mit der Sprühflasche und begann gerade die langwierige Vermessung ihres Gesichts, als Neva mit einem Ordner unter dem Arm das Labor betrat.
»Ich habe hier einige Zeichnungen von Springer X – Jake Stanleys Partner im Tode«, sagte sie. Springer X hatte so lange im Wasser gelegen, dass sein Gesicht ziemlich entstellt war.
Diane wollte aber, dass Neva ihn so lebendig darstellte, dass man ihn vielleicht identifizieren konnte.
»Ich habe auch den Schädel von unserem Höhlentoten gescannt«, fuhr Neva fort, »da er gerade daneben lag. Erinnern Sie sich noch an das Foto, das wir bei ihm gefunden haben? Obwohl es von den Körperflüssigkeiten und dem Blut des Höhlentoten völlig durchtränkt war, konnte es David mit seinem Computer einigermaßen rekonstruieren. Es ist die Aufnahme eines Mädchens, die ich dann ebenfalls gezeichnet habe.«
»Ich dachte, man hätte dieses Foto gestohlen«, wunderte sich Diane.
Neva schaute ein wenig verlegen drein. »Ich hatte es aus der Beweismittelschachtel herausgeholt und auf den Schreibtisch im Gewölbe gelegt, wo ich meine Zeichnungen anfertige.«
»Da bin ich aber erleichtert. Ich nahm an, dass wir es bei diesem Einbruch verloren hätten«, sagte Diane.
Neva hatte Springer X eine Zottelfrisur verschafft, wie sie in den siebziger Jahren modern war. Bei einigen Jungs war dieser Haarstil nie aus der Mode gekommen. Obwohl er so jung war – der Leichenbeschauer schätzte sein Alter auf 25 –, hatte sein Gesicht bereits einige rauhe Konturen angenommen. Springer X alterte wohl schnell. Er hatte dünne Lippen, große Augen, schwarze Haare und eine
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