Das Gesetz der Knochen: Thriller (German Edition)
krumme Nase, deren Spitze leicht nach oben gebogen war.
Neben dieser Zeichnung lag ein Obduktionsfoto von Springer X’s Rücken. Er war voller Tätowierungen – Tiger, Schlangen, Messer, Reißzähne, Pistolen, Rosen, Kreuze, Hakenkreuze und noch einiges mehr –, die jeden Quadratzentimeter Haut bedeckten. Einige waren sorgfältig ausgeführt; andere waren grob und von schlechter Qualität.
»Dies sind Gefängnistätowierungen«, sagte Diane. »Das sollte es dem Sheriff leicht machen, ihn zu identifizieren. Haben Sie Sheriff Canfield Ihre Zeichnung seines Gesichts gegeben?« Neva nickte. »Gefängnistätowierungen sind verboten. Sie zu haben, ist also ein Zeichen von Widerstand und Rebellion. Je mehr man hat, desto länger dauerte es natürlich, sie anzufertigen, was wieder das Risiko, erwischt zu werden, stark erhöhte. Es ist also eine Sache des Prestiges. Das sagt wahrscheinlich auch einiges über unser Opfer aus.«
Diane wandte sich den anderen Zeichnungen zu. Neva hatte die beiden letzten Porträtdarstellungen nebeneinander gelegt – der Höhlentote und das Mädchen auf seinem Foto, das möglicherweise seine Freundin war. Der Höhlentote sah jung aus. Zwar bewiesen das auch seine Knochen, aber erst sein Porträt zeigte wirklich sein jugendliches, ansprechendes Gesicht, ein absoluter Gegensatz zum Aussehen von Springer X. Das Gesicht der Frau auf dem Foto war ähnlich hübsch. Kurzes welliges Haar, helle Augen und volle Lippen, die den Anflug eines Lächelns zeigten. Ihr Kleid hatte einen gehäkelten Kragen. Etwas an ihr wirkte irgendwie vertraut.
»Die sind aber wirklich gut«, sagte Diane. »Es rührt einen an, wenn wir jetzt unserem Toten aus der Höhle ein Gesicht geben können.«
Diane war von der Art beeindruckt, wie Neva Gesichter auf der Grundlage von nackten Schädeln zeichnen konnte. Diane hatte sie gelehrt, wie eine jeweils gegebene Knochenstruktur das Aussehen eines Gesichts beeinflusste. Sie hatte ihr gezeigt, wie man die Hauttiefen auf einem Gesicht berechnen konnte, wie man aus der Größe der Nasenöffnungen die Nasenlänge ableiten konnte und wie man den Augen einen lebendigen Eindruck zu verleihen vermochte. Neva hatte sich in diese forensische Kunst schnell eingearbeitet. Diane hatte ihr natürlich auch gezeigt, wie man den Computer mit Hilfe von ausgeklügelten, hochmodernen Softwareprogrammen Gesichter zeichnen lassen konnte. Trotzdem waren die Zeichnungen des Computers nicht so lebendig wie die Nevas, allerdings konnte er ihre künstlerische Arbeit nicht unwesentlich beschleunigen.
»Ja, das ist wirklich traurig. Auch für seine Freundin – ich nehme einmal an, dass sie seine Freundin ist. Ich frage mich, was aus ihr geworden ist. Sie wusste vielleicht nicht einmal, was mit ihm passiert ist.«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Außer sie war daran beteiligt, ihn in dieser Höhle hilflos zurückzulassen«, sagte Neva.
Diane lachte. »Sie haben anscheinend schon viel zu lange in der Verbrechensbekämpfung gearbeitet. Sie werden bereits zynisch und aus Prinzip misstrauisch.«
»Eine Art Berufskrankheit, nicht wahr?«
»Wenn ich mit dem Höhlentoten fertig bin, schreiben wir einen Zeitungsartikel und veröffentlichen ihn zusammen mit Ihren Zeichnungen. Vielleicht findet sich jemand, der sie erkennt oder sich an sie erinnert.«
Diane schaute zu Plymouth X hinüber. »Da liegt noch eine arme, verlorene Seele. Wenn ich meine Vermessungen beendet habe, können Sie ihren Schädel ins Gewölbe mitnehmen und sie einem Laserscan unterziehen, so dass wir auch ihr Gesicht rekonstruieren können. Wenn Sie damit fertig sind, legen Sie den Schädel bitte wieder in den Behälter da drüben.« Diane schaute noch einmal alle Zeichnungen durch, bevor sie zu den Knochen von Plymouth X zurückkehrte. »Eine sehr gute Arbeit«, sprach sie Neva ihr Lob aus. Danach besprühte sie die Knochen mit Wasser.
»Es ist wirklich interessant, wenn man Korey erzählen hört, wie er die Sachen aus dem Auto konservieren wird«, sagte Neva. »Wussten Sie, dass er bereits vor Ort alle Magazine in einen batteriegetriebenen Kühlschrank in unserem Lieferwagen gesteckt hat?«
Diane nickte. »Diese Kühlung soll alle chemischen oder biologischen Prozesse stoppen, die die Magazine zerstören könnten. In seinem Labor nutzt er dann einen Prozess, den man Vakuumgefriertrocknen nennt. Dabei legt er die gefrorenen Magazine in eine Kammer, aus der er dann alle Luft herauspumpt, bis ein Vakuum entsteht – dabei trocknen
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