Das Gesetz der Neun - Goodkind, T: Gesetz der Neun - The Law of Nines
auf die Glasveranda am Ende des Flurs zuhielt.
Als sie schließlich den großen, hellen Raum betraten, blickte eine Gruppe von Frauen in der Nähe des Fernsehers kurz auf, wandte sich dann aber wieder ihrer Fernsehshow zu. Da und dort saßen auch noch ein paar andere Frauen auf der Veranda, die Alex jedoch nicht beachtete.
»Sie haben Besuch, Helen«, sagte Henry.
Helen saß auf einem Plastikstuhl am Tisch, die Hände im Schoß, den Blick starr geradeaus gerichtet. Sie schien den Krankenwärter nicht gehört zu haben.
»Helen, Ihr Sohn ist hier und möchte Sie besuchen.«
Träge blinzelnd blickte sie zum Krankenwärter auf. Nichts in ihren Augen deutete darauf hin, dass sie ihn wiedererkannte. Sie hatte keine Ahnung, wen sie vor sich hatte.
Alex wusste, dass auch sie unter schweren Medikamenten zur Unterdrückung ihrer Aggressionen stand. Er konnte sich also denken, wie sie sich in dieser Hinsicht fühlte. Aber tief in seinem
Innern wusste er auch, dass es in ihrem Fall nicht nur an den Medikamenten lag. In ihr war etwas Entscheidendes zerbrochen.
Er hatte wissen wollen, ob seine Mutter wohlauf war. Aber als er jetzt sah, dass sie unverletzt schien, begann sein Verstand wieder in die bedeutungslose Starre zu verfallen, die ihm als geistige Aktivität diente.
Ihm kam der Gedanke, dass er vielleicht etwas sagen sollte.
»Wie geht es dir, Mom?« Seine eigenen Worte klangen für sein Empfinden hohl. Es waren die richtigen Worte, das schon, doch enthielten sie keinerlei Bedeutung. Er vermochte keine den Worten entsprechende Empfindung aufzubringen.
Sie starrte geradeaus. »Gut.«
Alex nickte. Weiter wusste er nichts zu sagen.
»Zufrieden?«, erkundigte sich Henry.
Alex sah ihn an. »Ja. Ich möchte, dass es ihr gut geht.«
Unter dem weißen Verband zeichnete sich ein Lächeln ab. »Gut. Vergiss das nicht. Vergiss es niemals: Du möchtest, dass es deiner Mutter gut geht.«
Alex war sich der Drohung bewusst, verspürte jedoch keinerlei gefühlsmäßige Reaktion. Es war frustrierend, dass er innerlich nicht einen Hauch von Zorn empfand.
»Also schön«, sagte Henry, »da wir nun alle wissen, dass es Mom gut geht, lass uns wieder auf dein Zimmer zurückgehen. Nicht mehr lange, dann ist es Zeit für deine Medikamente.«
Alex nickte.
Im Herumdrehen sah er nicht weit entfernt eine Frau auf dem Sofa an der Wand sitzen. Sie trug Jeans und ein schwarzes Oberteil. Aber eigentlich war es ihr langes, blondes Haar, das seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
Jax!
Alex erstarrte. Plötzlich spürte er eine gefühlsmäßige Wallung
in seinem Innern hochsteigen, die es fast bis an die Oberfläche seines Bewusstseins schaffte. Doch dann blieb das allzu entrückte Gefühl in einer Ödnis aus Nichts stecken.
Jax saß allein auf dem Sofa, die Hände schlaff neben ihrem Körper. Ihre braunen Augen waren starr geradeaus gerichtet. Sie schien sich ihrer Umgebung nicht bewusst zu sein. Wie aus weiter Ferne kam Alex der Gedanke, dass sie wunderschön war.
Henry hatte Alex stehen bleiben und starren sehen und grinste.
»Tolle Frau, was, Alex?«
Zum ersten Mal, solange er zurückdenken konnte, spürte er irgendwo in seinem Innern das Vorhandensein eines dunklen Anflugs von Verärgerung.
»Möchtest du ihr vielleicht ›Hallo‹ sagen?«, fragte Henry. »Nur zu. Wo wir schon einmal hier sind.«
Alex ging mit schlurfenden Schritten auf sie zu und blieb vor ihr stehen.
»Jax?«
Sie sah träge blinzelnd auf.
In ihren wunderschönen Augen sah Alex so etwas wie Wiedererkennen aufblitzen.
Doch dieses Aufblitzen lag verborgen unter derselben betäubenden Last der Drogen, die er nur zu gut kannte. Derselben ihm so verhassten Drogen. Aber immerhin, er hatte es bemerkt.
Falls Jax ihn wiedererkannte, und er war sich dessen sicher, so ließ sie es sich nicht anmerken. Ihr Verhalten war ebenso teilnahmslos wie das seiner Mutter.
Ihm dämmerte, dass es Absicht sein musste. Sie wollte sich nicht verraten. Betäubt wie sie war, versuchte sie ihn zu schützen, indem sie nicht zu erkennen gab, dass sie ihn kannte.
»Tja«, meinte Henry, »sieht nicht so aus, als wäre sie an einer
Verabredung interessiert.« Er stupste Alex mit dem Ellbogen an und beugte sich ein wenig näher. »Vielleicht hat sie ja Lust, sich heute Abend nach dem Ausschalten der Lichter mit mir zu treffen? Was meinst du, Alex, ob ihr das wohl gefallen würde?«
Trotz seiner jedes Gefühl abtötenden Benommenheit ahnte Alex, dass Jax in großer Gefahr schwebte. Wieder
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