Das Gesetz der Neun - Goodkind, T: Gesetz der Neun - The Law of Nines
durch die Milchglasscheiben einfallende Licht schwand allmählich dahin, und es wurde dunkel. Nach einer Weile roch er Essen und hörte, wie der Wagen mit dem Abendessen durch den Flur zur Glasveranda geschoben wurde, wo die Patienten ihr Essen bekamen. Als eine der Frauen aus der Cafeteria ihren Kopf hereinsteckte,
um ihn daran zu erinnern, dass es Zeit fürs Abendessen war, nickte Alex nur. Er war nicht hungrig.
Während er dasaß und auf das Summen der Deckenlampen lauschte, klammerte er sich an den Kern der eigentlichen Lösung: Er musste von den Drogen runterkommen, um überhaupt denken zu können. Diesen Gedanken bearbeitete er wie einen mentalen Gebetsstein.
Wenn er überhaupt eine Lösung finden wollte, musste er zuvor einen Weg finden, die ihm verabreichten Drogen nicht länger einzunehmen. Danach würde auch sein Verstand wieder funktionieren.
Er hatte keine Ahnung, wie sich das bewerkstelligen ließe. Die Medikamente wurden ihm unter Zwang verabreicht. Sie warteten ab, um sich zu vergewissern, dass er sie genommen hatte. Er hatte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren.
Und dann plötzlich war die Antwort einfach da.
Er musste sie irgendwie zu der Annahme verleiten, dass er sie genommen hatte. Er musste sie täuschen. Nur, wie in aller Welt sollte er das tun?
Stundenlang saß er da, während der Abend voranschritt, und dachte angestrengt nach. Wenn ihm dies nicht irgendwie gelang, würde Jax leiden.
Er war sich des Einfalls gar nicht bewusst, spürte nur, plötzlich war er da. Irgendetwas in seinem Innern, ein unbewusster Wille, klammerte sich an diese Lösung, als ginge es ums nackte Überleben.
Er stand auf und knipste die kleinere Leselampe über dem Bett an, schaltete dann das große Deckenlicht aus. Die kleinere Lampe verströmte ein gedämpftes Licht. Es reichte aber, um etwas zu sehen, und machte das Zimmer dunkler als den Flur. Das Halbdunkel würde ihm bei seinem Plan einen gewissen Schutz bieten.
Von der Anstrengung des Pläneschmiedens und dem Justieren der Lichter erschöpft, ließ er sich wieder auf seinen Stuhl sinken und wartete darauf, dass die Schwester mit seiner abendlichen Medikamentenzuteilung kam.
Er nickte zweimal ein, ehe sie erschien.
Ihr Klopfen und ihre in einem Singsang vorgetragene Ankündigung ›Zeit für die Medikamente‹ ließ ihn mit einem Ruck hochschrecken. Es war eine der netteren Krankenschwestern, eine dickliche Frau mit mindestens einem Dutzend Leberflecken im Gesicht und noch mehr auf ihren mächtigen Armen. Sie hatte stets ein Lächeln für ihn.
»Ich habe Ihre Medikamente, Alex.«
Ehe sie Gelegenheit hatte, sich zu fragen, ob er vielleicht Hilfe benötigte, griff er nickend nach dem Pappbecher mit dem Thorazin auf dem Tablett.
Den Kopf in den Nacken gelegt, ließ er das sirupartige Medikament in seinen Mund rinnen, senkte dann den Kopf und verzog beim Hinunterschlucken das Gesicht. Er zerknüllte den Pappbecher und schmiss ihn in den Papierkorb neben seinem Stuhl.
Nur hatte er es gar nicht hinuntergeschluckt, sondern behielt es im Mund unter seiner Zunge.
Als sie ihm das Tablett hinhielt, leerte er den zweiten Pappbecher mit den Tabletten in seinen Mund und behielt sie ebenfalls unter seiner Zunge. Den Becher warf er in den Abfall.
Gähnend wartete sie ab, dass er die Tabletten hinunterspülte. Alex unterdrückte das Bedürfnis, sich von ihr anstecken zu lassen, und griff stattdessen sofort nach dem dritten Pappbecher mit Wasser. Er trank es, indem er den Kopf in den Nacken warf und so tat, als ob er die Pillen mitsamt dem Wasser runterschluckte, ehe er in der Gegenbewegung Sirup und Tabletten mit der Zunge in den Becher drückte.
Sofort zerknüllte er den Becher wie die beiden vorherigen und warf ihn in den Papierkorb.
»Eine angenehme Nacht, Alex«, sagte sie und eilte davon.
Alex saß in dem schwach beleuchteten Zimmer, unfähig, Freude, Überschwang oder Triumph zu empfinden.
Er wusste nur eins: Sobald die Drogen in seinem Körper ihre Wirkung verloren, würde er all diese herrlichen Gefühle wieder spüren – und noch viel mehr.
33
Am nächsten Morgen war Alex spürbar munterer. Und obwohl die betäubende Wirkung der Drogen noch nicht völlig nachgelassen hatte, fühlte er sich, als erwache er aus einem langen, tiefen Schlaf. Er war sich darüber im Klaren, dass es noch eine Weile dauern würde, bis er die Drogen vollends verarbeitet hätte, zumal es unmöglich war, das Thorazin jedes Mal vollständig auszuspucken. Aber
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