Das Gesetz der Neun - Goodkind, T: Gesetz der Neun - The Law of Nines
verspürte er die schattenhafte Anwesenheit von Verärgerung, doch näher diesmal, dunkler, heftiger. Auch wenn er nicht zu ihr durchdringen und Verbindung mit ihr aufnehmen konnte.
Er schaffte es, ihm etwas vorzumachen. »Schon möglich.«
Henry schmunzelte amüsiert. »Vielleicht möchte sie ja, dass du uns alles über den Durchgang erzählst. Denkst du nicht auch, Alex? Meinst du nicht, sie wäre erleichtert, wenn du tust, was wir verlangen?«
»Schon möglich«, antwortete Alex mit tonloser, entrückter Stimme, indem er sich bewusst blöde stellte. Übermäßig schwer fiel es ihm nicht.
Henry drehte ihn herum und stieß ihn an, damit er sich in Bewegung setzte. Im Losschlurfen blickte er kurz über seine Schulter. Jax’ Kopf verharrte bewegungslos, ihre Hände blieben schlaff an ihrer Seite.
Aber sie folgte ihm mit dem Blick.
Er kannte die persönliche, einsame Hölle, in der sie steckte. Er kannte sie, weil er sich genauso fühlte.
War Alex zuvor verwirrt gewesen, so steigerte sich seine Verwirrung noch, als sie sich durch den neunten Stock zurück auf die Männerstation, zu seinem Zimmer, begaben. Bruchstückhaft kehrte seine Erinnerung zurück.
Er begriff, wenn auch nur vage, dass er etwas unternehmen musste. Und ihm war klar, dass er sich selbst helfen musste, oder alles würde noch schlimmer werden. Das hatte Henry
mehr als deutlich gemacht. Seine Mutter würde leiden, doch das Schlimmste bliebe Jax vorbehalten.
Wenn er das verhindern wollte, musste er etwas tun.
»Da wären wir«, meinte Henry, als sie schließlich auf die Glasveranda der Männer zuhielten. »Du solltest dich hier hinsetzen und den Sonnenschein genießen, während du dir alles genau überlegst.«
»Einverstanden«, murmelte Alex.
Der Krankenwärter geleitete ihn hinüber zu den an der Wand stehenden Sofas. Ohne zu protestieren ließ sich Alex darauf nieder. Auf der anderen Seite der Veranda starrten männliche Patienten in den Fernseher. Alex starrte auf den Fußboden.
Als er ein Quietschen vernahm, blickte er hinüber und sah, dass es von glänzenden schwarzen Schuhen stammte. »Zeit für den Imbiss, Leute«, verkündete der übergewichtige Pfleger, als er den Wagen auf die Glasveranda schob.
»Du solltest dir ein Sandwich nehmen, Alex«, forderte Henry ihn auf.
Alex nickte nur.
»Und inzwischen denkst du über alles nach. Überleg dir ganz genau, welche Antworten wir wollen, denn unsere Geduld neigt sich langsam dem Ende zu. Hast du das verstanden?«
Wieder nickte Alex, ohne aufzusehen.
Henry reichte ihm einen Pappteller mit einem Vollkornweizen-Sandwich darauf sowie einen Plastikbecher mit Orangengetränk vom Wagen. »Wir unterhalten uns später.«
Abermals nickte Alex, ohne aufzublicken. Während er zusah, wie Henry sich entfernte, nahm er einen Schluck Orangensaft und behielt die kühle Flüssigkeit im Mund unter seiner Zunge. Derweil durchforstete er seine Gedanken fieberhaft nach einer Möglichkeit zu handeln. Es war, als versuchte man die ungeheure Masse eines Berges von der Stelle zu bewegen.
Zum Lärm der Kandidaten einer Spielshow, die auf irgendwelche Fragen antworteten, verspeiste er einige Bissen seines nach Nichts schmeckenden Sandwiches. Das Studiopublikum brach immer wieder in Gelächter aus, doch die zuschauenden Patienten reagierten nicht darauf.
Alex brauchte dringend Antworten.
Da er überhaupt nicht hungrig war, stellte er den Pappteller mit dem Sandwich weg und saß für eine Weile vor sich hinstarrend da, sein Verstand eine hoffnungslose Leere. Er spürte ein überwältigendes Gefühl der Verzweiflung angesichts seiner Unfähigkeit nachzudenken.
Das Einzige, worauf er sich konzentrieren zu können schien, war das Bild von Jax. Die damit verbundene Erinnerung war tief in seinem Innern vergraben.
Schließlich stand er auf und machte sich auf den Weg zurück zu seinem Zimmer. Unterwegs bemühte er sich unablässig um eine Klärung der Frage, was er tun könnte. Aber unter dem dämpfenden Nebel des Thorazins wollten sich keine klaren Gedanken herauskristallisieren. Die Drogen verhinderten jeden Gedanken an eine mögliche Gegenwehr.
Dann, plötzlich, überkam ihn von irgendwoher die Erkenntnis. Sein Denkvermögen war nicht etwa die unmittelbare Lösung. Es war das Problem. Er hatte sich auf das Problem konzentriert, nicht auf seine Lösung. Die eigentliche Lösung bestand in der Beseitigung dessen, was ihn am Denken hinderte: die Drogen.
In seinem Zimmer setzte er sich auf seinen Stuhl. Das
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