Das Gesetz Der Woelfe
Metall war und schließlich verschwand.
Als Mimmo Battaglia aus seinem Rausch erwachte, war es bereits Nachmittag. Die Sonne brannte auf die Häuser und schickte ihre Strahlen durch die Schlitze der Fensterläden in sein Wohnzimmer. Staub tanzte in den leuchtenden Bahnen, und die Luft war stickig. Seine Haare klebten ihm am Nacken und an den Schläfen, und sein Mund schmeckte nach schalem Alkohol. Angewidert wandte er den Blick von der leeren Flasche am Boden ab. Dann stand er schwerfällig auf und ging in die Küche, um Wasser zu trinken. Der Revolver lag noch immer auf dem Tisch, er hatte sich nicht aufgelöst, wie ihm seine Träume vorgegaukelt hatten. Er hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn, aus dem nur leidlich kaltes Wasser in einem schwachen, matten Strahl rann. Nachmittags um diese Zeit gab es nicht mehr viel Wasser in der Stadt. Dann trank er direkt aus dem Hahn, und er spürte, wie ihm dabei übel wurde. Er erbrach sich in das Spülbecken, nichts als stinkende, grüne Galle und Wasser. Er ließ das armselige Wasserrinnsal darüberlaufen, bis es fast versiegte, und fing die letzten Tropfen in seiner Mokkakanne auf. Dann entzündete er die Gasflamme an seinem Herd und stellte die bis obenhin mit schwarzem, duftendem Kaffeepulver gefüllte Kanne darauf.
Während das Wasser sich langsam erhitzte, griff Mimmo erneut nach der Waffe, diesem Fremdkörper in seiner Küche. Dieses Mal fühlte sie sich jedoch weit weniger bedrohlich an, als noch ein paar Stunden zuvor. Seine Finger schlossen sich wie selbstverständlich um den Schaft, er lag gut in seiner Hand. Er hob den Arm, zielte auf die brodelnde Kanne und schloss dabei ein Auge. »Paff!«, machte er und tat so, als würde er den Abzug betätigen. Und noch einmal. »Paff!«, die Uhr über der Tür, und »Paff! Paff!«, die schmutzigen Tassen neben der Spüle. Danach legte er den Revolver wieder zurück auf den Tisch. Ehrfürchtig, fast schon liebevoll. Und während er seinen Espresso trank und sich eine Zigarette anzündete, spürte er dem Gefühl nach, das der Revolver in seiner Hand hinterlassen hatte. Ein Gefühl der Stärke, nein, nicht ganz. Ein Gefühl von Macht war es gewesen. Eine Macht, die alles übertraf, was er bisher erlebt hatte. Als Journalist hatte er immer um die Macht der Worte gewusst. Worte konnten wachrütteln und empören ebenso wie manipulieren, aufwiegeln, erniedrigen, lügen, einlullen und zerstören. Doch die Macht, die einem eine tödliche Waffe wie diese verlieh, war jenseits aller Worte. Sie fegte jedes Wort beiseite, ließ keinen Raum für Argumente, für Verteidigung und Rechtfertigung. »Paff!« Seine Lippen formten lautlos dieses Comic-Wort, das die Wirkung verharmloste und so tat, als ob man nur Krach machen wollte.
»Paff! Paff! Paff!«
Und plötzlich begann er es für möglich zu halten. Plötzlich begann er daran zu glauben, dass er die Terrasse diesen Sommer womöglich doch wieder betreten konnte. Dass alles so sein würde wie früher. Nur besser. Plötzlich begann er zu verstehen, welche Chance ihm Orazio Sant’Angelo mit diesem Auftrag gegeben hatte: Er durfte sich beweisen, konnte aus dieser untersten Schublade der kleinen, stummen, feigen Verräter heraustreten, konnte sein Gesicht wieder zeigen. Er dachte an Salvatores Gesichtsausdruck, als er und die weiße Katze aus der schäbigen Kammer herausgetreten waren. Achtung und Respekt. War es nicht das gewesen, was Salvatores Miene zum Ausdruck gebracht hatte? Achtung und Respekt. Und Orazio Sant’Angelo hatte ihm, Mimmo Battaglia, die Chance gegeben, sich diese Achtung und diesen Respekt zu erringen. Er vertraute ihm, er wusste, dass er ihn niemals verraten würde, er hatte gewusst, noch vor Mimmo Battaglia selbst, dass er, er ganz allein das Zeug dazu hatte, diese Aufgabe zu Ende zu bringen. Er hatte es begonnen und er würde es beenden. Und danach würde er wieder dort oben sitzen, auf seiner Terrasse über den Dächern der Stadt und hinunterlauschen in den Lärm der engen Gassen, die der Wind vom Meer niemals erreichte. Mimmo Battaglia stand auf und nahm den Revolver. Er trug ihn hinüber in sein Schlafzimmer und legte ihn in die Schublade seines Nachttisches. Dann ging er zurück in sein Wohnzimmer und öffnete die Läden der beiden Fenster und der Terrassentür. Licht flutete herein.
MÜNCHEN
Es gab kein Zeichen, dass derjenige, der Elise mitgenommen hatte, irgendetwas anderes in ihrer Wohnung gestohlen oder auch nur berührt hatte. Alles war genauso,
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