Das Gesetz Der Woelfe
oder dem man erst vor ein paar Stunden in irgendeiner Kneipe begegnet war. Die selbstgerechten, unausgegorenen Argumente, die man sich zuwarf, wie an einem Pokertisch die Scheine. Niemand hörte je einem anderen zu. Jeder hörte immer nur sich selbst. Die Aggressivität, mit der jemand als Spießer geoutet wurde, weil er es gewagt hatte, einer besonders abwegigen These zu widersprechen oder auch nur logische Bedenken anzumelden.
Clara goss sich Kaffee nach, verscheuchte die unangenehmen Erinnerungen an längst vergangene Zeiten und betrachtete stattdessen unauffällig den Mann, der ihr gegenübersaß und noch immer mit seiner Zigarette beschäftigt war. Bei Tageslicht betrachtet, wirkte Mick nicht mehr ganz so jung, wie sie befürchtet hatte. Zwei Falten zogen sich von der Nase zum Mund, und noch einige mehr bildeten ein feines Netz in den Augenwinkeln. Er hatte ein ziemlich kantiges, unregelmäßiges Gesicht mit hervorstehenden Kieferknochen und einem ausgeprägten Kinn. An seinen Wangen schimmerten dunkelblonde Bartstoppeln, und seine Haare hatten in etwa dieselbe Farbe: straßenköterblond. Dafür waren seine Augen von einem auffallenden leuchtenden Blau mit hellen Sprenkeln darin. Wie Wasser, dachte Clara. Tiefes Wasser, auf das die Sonne scheint.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe?«
»Äh, was?« Clara blinzelte ertappt.
»Wegen Elise und diesem Barletta«, wiederholte Mick geduldig. »Ich habe nachgedacht.«
»Oh.« Clara registrierte, dass sich Mick im Gegensatz zu den beiden unsäglichen Polizisten gestern ohne weiteres Barlettas Namen gemerkt hatte. »Und zu was für einem Ergebnis bist du gekommen?«, fragte sie neugierig.
Mick zündete sich seine Zigarette an und drehte sie nachdenklich zwischen den Fingern. »Ich glaube nicht, dass er Elise etwas angetan hat«, begann er. Clara wollte etwas erwidern, aber er brachte sie mit einer knappen Geste zum Schweigen. »Ich weiß, was du sagen willst, und ich würde genauso denken. Was hilft es auch, sich womöglich vergebliche Hoffnung zu machen? Aber überleg doch mal logisch: Wenn er dir einfach nur hätte wehtun wollen, so im Sinne einer Rache, oder Bestrafung, dann hätte er Elise doch hier in deiner Wohnung getötet oder sie dir vor die Tür gelegt. In Mafiafilmen tun sie so etwas, sie legen den abgeschnittenen Kopf eines Rennpferdes ins Bett des Besitzers, oder so.«
»Ach, und weil es in Filmen so ist …«, entgegnete Clara, einigermaßen aus der Fassung gebracht von der Vorstellung, Elises abgeschnittenen Kopf in ihrem Bett vorzufinden.
Mick ließ sie nicht ausreden. »Ist doch egal, ob es nur Filme sind. Die entscheidende, die logische Frage ist doch, warum stiehlt jemand deinen Hund?« Er gab die Antwort gleich selbst: »Du hast mir gestern erzählt, dass dieser Barletta, weiß der Himmel warum, hinter deinem Mandanten her ist und du ihm im Weg bist.«
Clara nickte, beeindruckt davon, wie genau ihr Mick gestern Abend zugehört hatte.
Jetzt lehnte er sich befriedigt zurück, wie ein Zauberkünstler, der gerade ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert hatte und breitete die Arme aus. »Eben!!«
»Was eben?« Clara war verwirrt.
»Na, das ist doch klar: Er stiehlt deinen Hund, weil er dich unter Druck setzen will. Hätte er ihn gleich getötet und dir ins Bett …«
»Würdest du bitte die farbigen Details auslassen«, bat Clara.
»Entschuldigung. Hätte er ihn also gleich getötet, wärst du untröstlich gewesen, aber irgendwann hättest du dich auch wieder beruhigt. Aber so wie es jetzt ist, bist du im Ungewissen. Er kann dich beobachten, er kann abwarten, was du tust, er kann dir dabei zusehen.«
Clara dachte an ihre Begegnung mit Barletta in der U-Bahn und schauderte. Dann nickte sie langsam: »Du meinst, er wartet ab, ob ich seinen Hinweis verstanden habe und entsprechend reagiere. Ob ich mich von Malafonte zurückziehe oder nicht. Und wenn nicht …« Sie verstummte.
»… wenn nicht, dann wird er Elise sicher töten und sie …«, fuhr Mick hilfsbereit fort. Doch Clara winkte ab, »Ja, ja, schon kapiert.«
»Dieser Typ will dich fertig machen, so fertig, dass du mit den Nerven am Ende bist und dich nicht mehr traust, aus dem Haus zu gehen.«
»Na danke.« Clara sah Mick skeptisch an: »Kann es nicht sein, dass du jetzt ein wenig übertreibst?«
Mick schüttelte den Kopf. »Sicher nicht. Du stehst ihm im Weg, du bist sein Feind. Also, was wird er tun?«
Clara sah ihn unbehaglich an. Sie hatte sich gewünscht, dass jemand diese so
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