Das Gesetz Der Woelfe
musste sich ehrlicherweise eingestehen, dass dieser Fall seine Vorstellungskraft bei weitem überstieg. Er konnte ihr keine Lösung bieten. Sie steckte bis zum Hals in dieser dubiosen, gefährlichen Geschichte und versuchte sich zu wehren. Man konnte ihr keinen Vorwurf machen. Und dennoch sträubte sich sein Gewissen gegen die Methode, die Clara gewählt hatte. Doch das allein war es nicht. Der eigentliche Grund, warum er sich über die Geschichte so erregte, war, dass er Angst um sie hatte. Er war richtiggehend erschrocken bei Claras Anblick heute Morgen, als sie so aufgelöst hereingestürmt war. Blass, mit hektischen roten Flecken auf den Wangen, schien sie kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen. Auch war ihm die ungewöhnliche Ruhe, mit der ihn seine sonst so aufbrausende Kollegin gerade zu überzeugen versuchte, unheimlich. Sie machte den Eindruck, in den vergangenen Tagen dünner geworden zu sein, die kleinen Fältchen um ihren breiten, ausdrucksvollen Mund traten stärker als sonst hervor, und ihre Augen, die immer voller sprühender Funken zu sein schienen, waren von einem kalten, harten Grün, das Willi bei ihr noch nie gesehen hatte. Er seufzte wieder. »Und wie soll das Ganze dann weitergehen?«, fragte er und setzte endlich seine Brille wieder auf.
Clara klopfte mit den Blättern in ihre hohle Hand. »Wenn ich die Verfügung habe, dann kann ich versuchen, Malafonte aus dem Gefängnis zu holen und irgendwo in Sicherheit zu bringen.« Sie senkte den Kopf. »Und vielleicht bekomme ich dann auch Elise wieder«, fügte sie leise hinzu.
Willi nickte. Und gab sich geschlagen. »Ich muss in einer halben Stunde ans Gericht, ich kann deinen Antrag mitnehmen, und vielleicht bekommen wir die Entscheidung sogar noch heute«, meinte er und nahm Claras dankbaren Blick mit gemischten Gefühlen zur Kenntnis.
Clara ging hinunter zu Linda, um den Schriftsatz fertigmachen zu lassen. Die Sekretärin las die Korrekturen durch, dann fragte sie stirnrunzelnd: »Frau Niklas, Sie haben die Adresse des Gegners vergessen. Die müssen wir noch einfügen, sonst kann nicht zugestellt werden.«
Clara starrte sie an. Die Adresse! Natürlich. Aber sie wusste nicht, wo Barletta wohnte. Sie überlegte fieberhaft, und dann fiel ihr eine Person ein, die es wissen konnte. Sie ließ die verdutzte Linda wortlos stehen und lief die Treppe hinauf zu ihrem Tisch.
Es klingelte lange. Clara stellte sich vor, wie der drängende Ton des Telefons durch den langen, leeren Gang hallte, durch den Raum, der in den Garten mit dem Springbrunnen hinausführte, und durch das weiße Zimmer mit der roten Couch, in dem sie Massimo Moro, dem einst so schönen jungen Mann, gegenübergesessen hatte. Gerade als sie auflegen wollte, hob jemand ab. Es war Johannes Simoneit. Clara erklärte ihm hastig, welche Information sie benötigte, und Simoneit bat sie zu warten. Sie hörte Stimmen und leise Musik im Hintergrund, und dann kam Moro selbst ans Telefon. »Sie wollen von mir wissen, wo dieser Mistkerl wohnt?«, fragte er, ohne sie zu begrüßen.
»Ja«, bestätigte Clara. »Oder vielleicht wissen Sie ja jemand, der ihn besser kennt, der es mir sagen könnte?«
»Ich glaube, er wohnt bei Nico«, sagte Moro. »Habe ich zumindest gehört. Das ist so ein Typ aus Neapel. Nicòla Carraro.« Er nannte Clara eine Adresse in Haidhausen. »Warum wollen Sie das wissen?«, fragte er dann.
Clara zögerte. Sie wollte ihren Plan nicht preisgeben, bevor sie nicht wusste, ob er funktionierte. Andererseits hatte sie das Gefühl, Moro hätte es verdient, dass man ihm die Wahrheit sagte. »Ich will ihm in die Eier treten«, sagte sie schließlich und hörte, wie Willi ihr gegenüber scharf die Luft einzog. Moro schwieg auf diese Eröffnung hin.
»Max? Sind Sie noch dran?«, fragte Clara nach eine Weile.
»Ja. Ich, ich … habe in letzter Zeit ziemlich viel nachgedacht«, begann er plötzlich unvermittelt.
»Ja?«
»Jo meinte, Sie wären ziemlich, äh, cool, also, für eine Anwältin.«
Danke für das Kompliment, dachte Clara amüsiert, denn ein solches sollte es offensichtlich sein, doch sie schwieg, gespannt darauf, was jetzt kommen würde.
»Er kennt Sie von früher, Ihre Familie, hat er mir gesagt. Und Sie haben sich immer recht … energisch durchgesetzt.«
So könnte man es auch nennen, dachte Clara trocken.
Moro fuhr zögernd fort: »Johannes meint, es wäre wichtig, sich zu wehren.«
»Das denke ich auch«, pflichtete ihm Clara vorsichtig bei.
»Ja, und deshalb,
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