Das Gesetz Der Woelfe
schien ein wenig verlegen, sie knetete ihre Hände und zögerte. »Ich …, also, es ließ sich nicht vermeiden, ich habe gehört, was sie geredet haben, heute Morgen, Sie und Herr Allewelt.« Sie schluckte. »Wegen Elise! Oh, Frau Niklas, es tut mir so leid, es ist ganz furchtbar!« Sie zwinkerte heftig und schniefte.
Clara sah sie gerührt an. Sie wusste, wie gern Linda Elise hatte, und sie bekam Gewissensbisse. Sie hatte Linda heute Morgen vollkommen vergessen. »Vielen Dank«, sagte sie und strich ihr tröstend über den Arm. »Vielleicht wird alles wieder gut und wir bekommen sie zurück.«
Linda nickte und schniefte noch lauter. Plötzlich sah sie überhaupt nicht mehr überirdisch perfekt aus, eher wie ein kleines Mädchen, dessen Hamster gerade gestorben war, und Clara erfasste eine Welle tiefer Zuneigung für die junge Frau. Was für ein verdammter Idiot Willi doch war! Sie würde irgendwann einmal, wenn das alles vorbei war, mit ihm über Linda reden müssen. War er denn vollkommen blind?
Clara war nicht auf die Wut gefasst gewesen. Sie hatte mit Angst gerechnet, mit Hilflosigkeit, aber diese ungebändigte, Funken sprühende Wut, die sie beim Anblick Gaetano Barlettas erfasste, kam vollkommen unerwartet. Sie brachte sie dazu, sich in dem Moment nichts sehnlicher zu wünschen, als sich auf diesen grobschlächtigen, dumpfen Kerl vor ihr stürzen zu können, ihm einen Kinnhaken oder einen saftigen Schlag auf seine platt gedrückte Nase zu verpassen. Natürlich tat sie keines dieser Dinge. Man konnte so etwas nicht tun. Auch dann nicht, wenn ein breitschultriger, Ehrfurcht gebietender Gerichtsvollzieher hinter einem stand und Schutz versprach. Gerade dann nicht. Leider. Erst ein einziges Mal hatte sie das Bedürfnis verspürt, jemandem absichtlich Schmerzen zuzufügen, und damals war es ihr eigener Ehemann gewesen. Und jetzt stand sie in dieser schäbigen, schummerigen Kneipe und bedauerte es zutiefst, dass zwischen ihr und diesem schmierigen Kerl, der ihr so viel Angst eingejagt hatte, ein breiter grüner Billardtisch stand. Barletta musste etwas von ihren schwer zu bändigenden Gefühlen erahnen, denn er warf ihr einen wachsamen Blick zu und verlagerte fast unmerklich sein Gewicht, bis er, mit leicht vorgebeugtem Körper in einer Lauerstellung verharrte, wie eine Ratte, kurz davor zuzubeißen.
Clara und Gerichtsvollzieher Hohenleitner waren nach einem vergeblichen Besuch in Barlettas Wohnung jetzt in einem Etablissement mit dem hochtrabenden Namen Metropol gelandet, einer dunklen, ungemütlichen Kneipe im Keller eines gesichtslosen Bürobaus aus den Siebzigern, direkt hinter dem Ostbahnhof. Als sie bei Nico Carraro geklingelt hatten, war ihnen von einer mürrischen jungen Frau mit einem Kind auf dem Arm geöffnet worden. Ja, Barletta wohne hier, nein er sei nicht da, erklärte sie mit hartem Akzent zwischen zwei Zigarettenzügen und schaukelte ein wenig das Baby, das zu weinen begonnen hatte, auf ihrer runden Hüfte. Er sei mit ihrem Mann Nico weg. Sie ließ die Zigarette in ihrem Mundwinkel stecken und kniff die Augen wegen des Rauchs zusammen. Dann verlagerte sie das strampelnde und weinende Kind auf die andere Seite und nahm die Zigarette wieder aus dem Mund. Wohin sie gegangen seien? Keine Ahnung. Sie schnippte die Asche auf den Boden und wollte die Tür schließen, doch Clara griff mit ihrer Hand in den Türrahmen. Die Frau starrte sie aus schmalen Augen an und presste ihre Lippen aufeinander. Mittlerweile riss das rotgesichtige Baby an den dichten Haaren seiner Mutter und brüllte wie am Spieß. Clara nahm den durchdringenden Geruch einer Windel war, die dringend gewechselt werden musste. Doch sie bewegte sich nicht. Aus der Wohnung drang ein schrilles Kreischen und das Klappern von Geschirr. Eine lautstarke Kinderstimme schrie nach der Mutter. Die Frau trat von einem Bein auf das andere und warf einen raschen Blick in die Wohnung, während sie versuchte, das sich windende Baby festzuhalten und gleichzeitig ihre Zigarette zu Ende zu rauchen.
»Wohin gehen sie denn gewöhnlich, Frau Carraro?«, fragte Clara seelenruhig, als gäbe es weder Windelgestank noch Kindergeschrei. Die Frau machte eine unbestimmte Handbewegung, als ob sie Clara wegscheuchen wollte, und meinte schließlich genervt:
»Vielleicht sind sie im Metropol .«
Clara wollte gerade fragen, wo sich dieses Lokal befinde, doch da schlug die Frau schon die Tür zu. Clara zog im allerletzten Moment ihre Hand zurück. In der Wohnung begann
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