Das Gesetz Der Woelfe
Hintern …« Killesreiter machte abwesend eine entsprechende Handbewegung. »Er meinte, sie hätte ihm doch einen kleinen Gefallen tun können, dann hätte sie ungestört weiter die große Kohle scheffeln können. Genau so hat er sich ausgedrückt.« Endlich hob der Staatsanwalt wieder den Kopf. Seine Augen verschwanden hinter dunklen Schatten. »Er hat sie angemacht. Er wollte …« Er brach ab.
»Und sie hat sich geweigert«, half ihm Clara. Sie konnte vor Wut kaum sprechen.
Killesreiter nickte müde. »Weiß Gott, was er dann gemacht oder gesagt hat. Jedenfalls hat es dafür gereicht, dass sie sich umgebracht hat.« Er winkte dem Kellner und bezahlte. Als sie aufstanden, fiel Claras Blick auf die Weingläser. Seines war noch fast voll.
»Sie fühlen sich schuldig«, sagte Clara, während sie gemeinsam mit Elise als Vorhut zum Odeonsplatz gingen.
»Würden Sie das nicht tun?« Killesreiter sah sie an. »Wenn ich den Mund aufgemacht hätte, als sie ihn nach München befördert haben, wenn ich gesagt hätte, was er mir damals in dieser schmuddeligen Kneipe erzählt hat, wer weiß, ob er je wieder als Richter hätte arbeiten können.«
»Wer weiß, ob sie Ihnen geglaubt hätten«, wandte Clara ein.
Killesreiter antwortete nicht. Als sie vor der U-Bahn-Station standen, schüttelte er ihr die Hand und sagte: »Sie können das verwenden, wenn Sie wollen. Sollte es dazu kommen, werde ich es vor Gericht bestätigen.« Dann lächelte er in der zynischen, bitteren Art, die Clara jetzt schon kannte, und fügte hinzu: »Sie müssen sich nur beeilen.«
Clara sah ihm nach, wie er langsam die Treppen hinunterging, und fragte sich, ob sie ihn jemals wiedersehen würde. Er hatte ihr mit seiner Last ein Geschenk gemacht. Eines, das sie wirklich brauchen konnte. Und sie würde es gegen Oberstein verwenden. In jedem Fall. Sie würde es nicht nur für Angelo Malafonte, sondern auch für Karl Killesreiter tun.
KALABRIEN
Cerca permessu si tu vo’ trasiri
Ma stai attentu chi se pó muriri
E chi p’arretu non si pó turnari
Jetzt ist es Zeit, um Einlass zu ersuchen
Doch bedenke, dass du dabei sterben kannst
und es kein Zurück mehr gibt
Aus: »Omertà, Onuri e Sangu; Il Canto di Malavita«
Traditionelle Lieder der kalabresischen Mafia
Je näher der Tag des Festes der Frühlingshexe rückte, desto nervöser wurde Filippo. Gut eine Woche vorher, am Sonntag, wachte er bereits vor Sonnenaufgang auf. Er sprang aus dem Bett, zog sich rasch an und schlich hinaus. Der Himmel war von einem gläsernen, durchscheinenden Hellblau, das einen strahlenden Tag versprach. Er ging hinüber zu dem Anbau, in dem die Olivenpresse stand, zögerte jedoch, hineinzugehen. Zu oft hatte er sich dort als kleiner Junge versteckt. Jetzt war er kein kleiner Junge mehr. Und er würde sich nie mehr verstecken. Wie auch immer sein Vorhaben zu Ende gehen mochte, es würde öffentlich geschehen. Vor aller Augen. Er hatte gestern Abend noch Mimmo Battaglia angerufen und ihn an sein Versprechen erinnert. Mimmo hatte ernst geklungen am Telefon und gar nicht mehr gönnerhaft. Sie hatten miteinander gesprochen, wie zwei Männer es tun. So als ob er, Filippo, nicht erst siebzehn wäre. Mimmo hatte versprochen zu kommen. Filippo vertraute ihm. Er musste ihm vertrauen. Wenn Mimmo nicht kam, dann war alles verloren. Sein Leben hing von Mimmo ab. So schien es ihm jedenfalls.
Nicht dass Mimmos Anwesenheit eine Garantie dafür war, dass sie ihn am Leben lassen würden, aber ohne Mimmo hatte er so gut wie keine Chance. Die Öffentlichkeit von San Sebastiano bot ihm keinen ausreichenden Schutz, das war ihm von Anfang an klar gewesen. An einem Ort, an dem ein fünfzehnjähriger Junge mit gebrochenem Knöchel und völlig entkräftet auf der Straße liegen gelassen wird, obwohl jedes Kind wusste, was ihm widerfahren war, konnte man auf Solidarität am allerwenigsten hoffen. Doch darum ging es ihm nicht. Er wollte nicht, dass sich irgendeiner dieser Hurensöhne und irgendeine ihrer Frauen mit ihm solidarisch zeigte. Sie beschämen, sie dazu bringen, jedes Mal die Augen niederzuschlagen, wenn sie den Rathausplatz überqueren mussten, ja das schon. Doch was er wirklich wollte, was sein verzweifelter Wunsch war, das war, sich zu befreien. Diese Fesseln, die immer noch an ihm klebten, endlich abzustreifen. Wieder schlafen zu können. Aufrecht zu gehen und sich nicht mehr dafür zu schämen, dass er ein Opfer gewesen war.
Er stieß die Tür auf und ging hinein. Es
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