Das Gesetz Der Woelfe
gleichzeitig verflucht. Mit einem Hass, den er niemals für möglich gehalten hatte, dachte er jedes Mal an ihn in diesen ruhelosen Nächten, und manchmal, sehr selten, breitete sich der Hass aus und verseuchte den Blick auf seine nonna , seinen Vater und sogar seine Mutter, die er nie kennengelernt hatte, mit seinem Gift. Warum hatten sie ihm das angetan? Warum hatten sie ihn allein gelassen mit dieser Bürde, die er niemals würde tragen können?
Filippo bog in halsbrecherischer Geschwindigkeit um die letzte steile Haarnadelkurve, bevor die Straße in das noch schlafende Städtchen einbog. Er hielt an und schob sein Mofa hinter die beiden grünen Müllcontainer, die am Ortseingang aufgestellt waren. Er würde zu Fuß weitergehen, um niemanden zu wecken. Zu Fuß konnte er sich unauffälliger bewegen. Es war wichtig, dass es jetzt zu keinen Komplikationen kam. Es war schwer genug, diese Sache durchzuziehen. Seit Tagen hatte er nicht mehr richtig geschlafen. Der kommende Sonntag ragte wie ein Berg vor ihm auf, der keinen Blick auf die andere Seite zuließ. Und es hatte diese Stimmen gegeben, die ihm zuflüsterten: »Lass es sein! Bald bist du erwachsen, kannst von hier weggehen, etwas ganz Neues anfangen.« Verführerisch waren sie, diese Gedanken, doch am Ende hatte er immer gewusst, dass alles, was sie ihm zuflüsterten, nur eine Flucht wäre, die ihn nicht befreien würde. Er konnte nicht weg. Nicht so. Denn dann würde er niemals zurückkommen können.
Und es war alles bereit. Am meisten Sorgen hatte ihm in den letzten Tagen das geeignete Versteck bereitet. Es war unmöglich, erst am Abend die ganzen Sachen von La Oliveta herunterzuschaffen und dann auch noch aufzubauen, ohne gesehen zu werden. Er musste sie bereits griffbereit haben, ganz in der Nähe, es musste schnell gehen. Das Überraschungsmoment war das Entscheidende.
Filippo hatte sich ausgerechnet, dass es etwa eine halbe Stunde dauern würde, bis sie vom Duomo herunterkamen zur Piazza vor dem Rathaus. Zuerst die Ansprache, dann der Segen vor dem Portal der Kirche, und dann würde sich der Marsch in Bewegung setzen. In dieser halben Stunde musste er alles vorbereiten, denn vorher waren zu viele Leute auf dem Platz, beschäftigt damit, die Tribünen aufzubauen, die Verkaufsstände und die Bühne der Musikanten. In dieser halben Stunde würden alle oben sein. Doch um das zu schaffen, brauchte er ein Versteck in der Nähe der Piazza. Tagelang hatte er sich nach der Schule dort herumgetrieben und alle Ecken und Winkel durchstöbert, ohne Erfolg. Vorgestern erst hatte er durch Zufall den passenden Ort gefunden:
Hinter dem Rathaus gab es einen kleinen engen Hof, in dem der alte Hausmeister früher zwei Hunde an der Kette gehalten hatte. Eines Tages war der Hausmeister verschwunden gewesen, und die Hunde hatten tot in ihrem Holzverschlag gelegen, jemand hatte sie vergiftet. Das war vor etwa einem Jahr passiert. Dann war ein neuer Hausmeister gekommen, der gleichzeitig Hausmeister der Grundschule und der Polizeibehörde war und sich niemals im Rathaus blicken ließ. Als Filippo vorgestern an diesem Hof vorbeikam, war die hohe Eisentüre nur angelehnt gewesen, und er hatte sie vorsichtig aufgedrückt. Zigarettenkippen, Flaschen und Müll lagen herum, und als er weiterging, trat er auf eine schmutzige Plastikspritze. Der Hundeverschlag, von dem noch immer ein ziemlich unangenehmer Geruch ausging, war unberührt. Ein ideales Versteck. Gestern hatte er, so unauffällig wie möglich mit seinem motorino nach und nach alles heruntergeholt, was er brauchte. Nun galt es nur noch abzuwarten.
Als er heute Morgen die steile Gasse, die zur Piazza führte, hinunterging, lag das Rathaus noch im tiefen Schatten. Er ging um das rosafarbene Gebäude herum und schlich durch das offene Gatter in den Hinterhof. Alles lag noch an derselben Stelle, an der er es gestern versteckt hatte. Er hob zur Sicherheit die graue Plane hoch, mit der er seine Schätze zugedeckt hatte. Alles in Ordnung. Als er aus dem Verschlag wieder herauskroch, atmete er tief und erleichtert ein. Er würde am Freitag noch einmal nach dem Rechten sehen. Vorher nicht, um nicht doch noch jemandem aufzufallen. Deshalb hatte er auch die Sachen jetzt schon versteckt und nicht erst in der kommenden Woche. Er kam immer erst spät nachmittags von der Schule, und er konnte es nicht riskieren, am Abend, wenn die Piazza voll von Menschen war, mehrere Male vorbeizufahren, geschweige denn, sich durch das Tor hier
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