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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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Silber, mit einem kleinen Kreuz daran. Sie erinnerte sich an das Kreuz auf Gaetano Barlettas Handrücken, lang gezogen und mit sich verdickenden Enden. La Santa , die Heilige. Hatte diese Kette für Angelo eine ähnliche Bedeutung gehabt? Weniger religiöses Bekenntnis als Zeichen der Zugehörigkeit zu dieser unheimlichen Organisation, die ihre Finger nach ihm ausgestreckt und ihn am Ende auch zu Fall gebracht hatte?
    Raffaela hatte mit den Schultern gezuckt, als Clara sie am Ende doch nach der’Ndrangheta gefragt hatte. Sie merke hiervon nichts, das sei eine Sache des Südens meinte sie , und die Art, wie sie es sagte, klang, als ob sie von einem anderen Land sprach, weiter entfernt als Afrika.
    »’Ndrangheta.« Ein paar Mal murmelte Clara das sperrige Wort nachdenklich vor sich hin. Sie ließ die Kette zurück zu dem abgegriffenen Bild in den Beutel rutschen und steckte ihn wieder in ihre Tasche. Dann lehnte sie ihren Kopf gegen die kalte Scheibe und sah hinaus in die trübe Dunkelheit. Das Licht im Abteil spiegelte sich im Fenster, und ihr Gesicht starrte sie an. Sie dachte an Angelos Mutter, die jetzt bald vom Tod ihres Sohnes erfahren musste. Sie versuchte, sich den Ort vorzustellen, in dem sie lebte, aus dem Angelo gekommen war, konnte aber nur die Bilder aus ihrer Erinnerung an Apulien heranziehen, die weißen Häuser von Vieste, wie ein Seeräubernest auf den Klippen, die Grotten und Buchten, kurvige Küstenstraßen, tiefblaues Meer. Für sie war es das Paradies gewesen.
    Als abzusehen war, dass sie das Abitur nicht schaffen würde oder auch gar nicht wollte, hatten ihre Eltern, um der drohenden Schande vorzubeugen, sie kurzerhand für die letzten zwei Schuljahre auf ein teures Internat geschickt, spezialisiert auf missratene Sprösslinge reicher Eltern, die mit Geld das wettzumachen versuchten, was vorher an der Erziehung versäumt worden war. Clara hatte die Abiturfeier nicht abgewartet. Sie wollte nicht mit ihren Eltern inmitten der verhassten Mitschüler stehen, konnte diese kaum verhohlene Erleichterung ihrer tadellosen Akademikereltern darüber, dass ihnen bei ihrer widerspenstigen Jüngsten nun gerade noch in letzter Minute die Blamage eines Scheiterns erspart geblieben war, nicht ertragen. Mit dem Geld, das sie für das bestandene Abitur bekommen hatte, war sie in den Zug gestiegen und einfach losgefahren. Nach Italien, so weit in den Süden wie möglich. Italienisch lernen, frei sein. Sie hatte ein paar Monate in einer Strandkneipe in Apulien bedient, deutschen Campern und Surfern ihr Weißbier serviert. Bis der Winter kam. Dann war sie weitergezogen, zuerst nach Marokko, dann, im Frühling, nach Spanien. Und irgendwann auf ihren ziel- und rastlosen Reisen, die einzig dazu dienten, möglichst viel Raum zwischen sich und ihr Elternhaus zu bringen, hatte sie Ian kennengelernt.
    Clara schloss die Augen und wollte ihr Gesicht in der dunklen Scheibe nicht mehr sehen. Sie wusste nicht, wie es dort aussah, wo Angelo Malafonte herkam, sie hatte nur eine vage Vorstellung von dem Leben, das er geführt hatte. Aber der Gedanke an seine Mutter ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie wusste noch nicht einmal, dass ihr Sohn tot war. Und sie würde nie wirklich erfahren, was passiert war. Drogen, würde man ihr sagen. Überdosis. Und sie mit dieser Lüge allein lassen. Sie griff noch einmal nach dem Beutel, fühlte das weiche Plastik und die Glieder der Kette darin und dachte nach. Dann zog sie den Block und den Füller aus ihrer Tasche, die sie immer bei sich trug, und begann zu schreiben. Sie schrieb die gesamte Rückfahrt, suchte nach den richtigen italienischen Wörtern, strich aus, fing von vorne an. Sie erzählte der unbekannten Frau alles, was sie wusste, alles, was sie erlebt hatte, und noch mehr. Sie versuchte zu trösten, obwohl es ihr schwerfiel, Trost für sich selbst zu finden. Sie klagte sich an, womöglich nicht genug getan zu haben. Sie beschrieb Angelo, wie sie ihn erlebt hatte. Versuchte, nichts zu beschönigen, und stellte plötzlich fest, dass diese Art zu erzählen eine ganz eigene Art von Trost auch für sie selbst beinhaltete.
     
    Als sie in München ankamen, war Clara fertig. Sie faltete die Seiten zusammen und legte den Beutel mit dem Bild und der Kette dazu. Zuhause würde sie den Brief in einen Umschlag stecken und auf die Reise schicken in der Hoffnung, damit wenigstens ein paar Antworten geben zu können.
     
    Nach und nach wurden die Menschen aufmerksam. Sie wandten sich ab von dem

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