Das Gesetz Der Woelfe
einem früheren, heftigen Schlag, vielleicht einem Fußtritt. Eine Rippe war angebrochen. Haben Sie eine Ahnung, wo er sich das zugezogen haben könnte?«
Clara nickte und spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Im Gefängnis.« Sie schämte sich, als wäre sie dafür verantwortlich. Dann deutete sie noch einmal auf die übrigen blauen Flecken: »Könnte es sein, dass ihn jemand festgehalten und das Heroin mit Gewalt verabreicht hat?«
Der Mediziner wiegte zweifelnd den Kopf hin und her. »Daran habe ich auch schon gedacht. Er hat nämlich nur einen einzigen Einstich, sehen Sie?« Er deutete auf den Fleck in der Armbeuge. »Aber diese blauen Flecken sind zu klein, zu oberflächlich und nicht regelmäßig. Kein Schlag auf den Kopf, keinerlei Griffmuster.« Er legte seine Hand um Angelos Oberarm, zeigte ihr, wie es aussehen würde, wenn man ihn festgehalten hätte. Dann nahm er eine Metallschale von dem Rollwagen neben dem Tisch und hielt sie Clara hin. »Hier. Sie haben auch die Spritze gefunden.«
Clara wandte nach einem kurzen Blick auf die blutverschmierte Einwegspritze schnell den Kopf ab. Der Anblick schien ihr fast schlimmer als Angelos Leiche vor ihr.
Dr. Azzarà stellte die Schale behutsam wieder zurück: »Ohne fremde Fingerabdrücke. Es war übrigens stark verunreinigtes Heroin, es hätte ihn auf jeden Fall umgebracht, unabhängig von der Dosis.« Er ging um den Tisch herum und stellte sich neben Clara. Nachdenklich sah er auf Angelos mageren Körper hinunter: »Auch wenn er nicht der Kräftigste war: Um einem erwachsenen Mann gegen seinen Willen auf diese Art und Weise eine Spritze zu verpassen, benötigt man schon etwas mehr Gewalt, als es hier der Fall war, Signora. Die Blutuntersuchung hat ebenfalls nichts ergeben, er war weder betäubt noch betrunken. Wenn er es sich nicht selbst gespritzt hat, dann hat er sich jedenfalls nicht gewehrt.«
Clara starrte das wächserne Gesicht an, als hoffte sie, es könne etwas von dem preisgeben, was passiert war. Keinerlei Ausdruck lag darin, keine Qual, keine Furcht, kein Frieden. Wie weit mochte Angelos Angst vor Barletta gegangen sein? Wie hatte er reagiert, als sie sich am Ende doch noch gegenüber gestanden hatten? Hatte er sich freiwillig umgebracht, auf diese schmutzige Art und Weise töten lassen? Sie stellte sich Barletta vor, wie er Malafonte gefolgt war, bis hierher, wie er ihn endgültig gestellt hatte. Hatte Angelo freiwillig kapituliert vor dem, was in seinen Augen ohnehin die ganze Zeit schon unausweichlich gewesen war? Es war möglich. Es passte zu Angelos Art, zu seiner Passivität, seiner hilflosen Angst, deren Ursprung sie jetzt nie erfahren würde. Einer, der sich unsichtbar machen will, so treffend hatte der Justizbeamte ihn charakterisiert. Doch es war ihm nicht gelungen, unsichtbar zu werden, also hatte er die einzige andere Alternative gewählt. Ihr wurde übel. Sie krallte sich an dem Tisch fest und spürte, wie stützende Hände unter ihre Schultern griffen. Sie versuchte, sich wieder aufzurichten. Ihr war ein wenig schwindlig, aber die Übelkeit verebbte langsam. »Es geht schon wieder, danke.«
»Sind Sie sicher?« Der Gerichtsmediziner warf ihr einen besorgten Blick zu. »Da sind schon ganz andere umgefallen, Signora.«
Clara bemühte sich um ein zittriges Lächeln. »So schnell falle ich nicht.« Dann beugte sie sich über Angelo und strich ihm sanft, fast liebevoll über das stille Gesicht. »Es tut mir leid«, flüsterte sie, so leise, dass es fast nicht zu hören war. »Es tut mir so leid.« Als sie sich wieder aufrichtete, begegnete ihr Dr. Azzaràs Blick. Sie wandte sich ab.
»Signora!«
»Ja?«
Er nahm sie so vorsichtig am Arm, als befürchtete er, sie würde bei der geringsten Berührung zusammenbrechen, und führte sie zu einem Regal, das etwas entfernt von dem Tisch an der Wand stand. Dort nahm er eine durchsichtige Plastiktüte aus einem Fach und reichte sie Clara. »Das war alles, was er außer seinen Kleidern noch bei sich hatte. Vielleicht möchten es seine Angehörigen haben?«
Clara nahm den Beutel. Eine silberne Kette blitzte darin und ein zusammengefaltetes Stück Papier: Das Heiligenbild seiner Mutter, das Clara in dem ausgeräumten Zimmer über der Pizzeria gefunden hatte. Sie schloss für einen Moment die Augen, drückte die Tränen weg, die hinter ihren Lidern brannten, und nickte. »Ich kümmere mich darum.« Den Plastikbeutel in der Linken, reichte sie Dr. Azzarà die Hand.
Er lächelte.
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