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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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verkohlten Scheiterhaufen und drehten sich zu dem Scheinwerfer um, der einen weiten Kreis auf die noch immer im Dunklen liegende Piazza warf. Ein Stand war dort aufgebaut, nicht viel anders als die übrigen Verkaufsstände, ein wenig provisorisch, etwas kleiner. Und es gab nichts zu kaufen. Ein Junge stand hinter einem Tapeziertisch, direkt unter dem Scheinwerfer. Blass stand er da, wie ein Schatten, der fast hinter den Bildern verschwand, die er dort, auf Kartons geklebt, aufgestellt hatte.
    Eines der Bilder war eine Zeichnung, etwas ungelenk, aber durchaus realistisch. Ein Mann war darauf abgebildet, jung, mit tief liegenden Augen und einem langen Kinn. Die Fotos daneben waren einige Großaufnahmen, die offenbar in einem Krankenhaus gemacht worden waren: Wunde, verschorfte Hand- und Fußgelenke, dünn wie die eines Kleinkindes, der Junge in einem Krankenbett, kaum wiederzuerkennen, mit abgemagertem, durchscheinend blassem Gesicht, in dem die Augen wie dunkle Löcher lagen. Daneben ein besonders abstoßendes Foto von einem Fuß, der auf groteske Größe angeschwollen war und seltsam verdreht am Bein hing. Auf dem Tisch standen eine Reihe Aufnahmen, die auf den ersten Blick wie Landschaftsfotos wirkten: Eine kahle Bergkuppe, ein einsames Tal. Beim genauen Hinsehen erkannte man eine kleine Kate direkt unterhalb der Kuppe, wie verwachsen mit dem Geröll und den Flechten ringsherum. Eine größere Aufnahme zeigte eine dunkle Öffnung neben der verfallenen Hütte, vor der eine schwere Holztür in schiefen Angeln hing. Ein Erdloch. Ohne Fenster, direkt in den Berg gegraben.
     
    Mimmo wich instinktiv ein paar Schritte zurück. So hatte er es sich nicht vorgestellt. Filippo hatte ihm die Einzelheiten seines Planes nicht verraten. Doch selbst wenn er es gewusst hätte, hätte ihn nichts darauf vorbereiten können, wie verheerend diese so offensiv zur Schau gestellten Grausamkeiten auf ihn wirkten. Scham überkam ihn, tiefe, nagende Scham, die ihm die Hitze ins Gesicht steigen ließ und ihm die Tränen in die Augen trieb. Er ließ seine Hand, die er noch immer an die Waffe in seiner Jackentasche gepresst gehalten hatte, sinken. In diesem Moment fiel der Blick des Jungen auf ihn, und Mimmo sah die Erleichterung in Filippos schwarzen, ernsten Augen aufblitzen, als er ihn erkannte. Übelkeit stieg in Mimmo hoch, und er senkte den Kopf.
    Inzwischen hatte die Menge einen stummen, weiten Halbkreis um den Stand herum gebildet, eine diffuse Masse aus Gesichtern und Körpern. Sie alle standen im Schatten, schweigend, sorgfältig darauf bedacht, nicht in das Licht zu treten, das der Scheinwerfer auf das Pflaster warf. Mimmo bemerkte entsetzt, dass er vollkommen allein im Licht stand. Seine Hand hob sich, unbestimmt, zitternd. Er hatte die Wahl zwischen zwei Waffen, der guten und der bösen. Jeder kannte ihn, jeder hatte ihn gesehen, jeder wusste, dass er für den Calabrese arbeitete. Er war ein feiges Schwein. Immer schon gewesen. In seiner Kindheit hatte er Heuschrecken die Beine ausgerissen und seine Nasenpopel unter die Bank des Tischnachbarn geklebt. Filippo starrte ihn an. Mimmo sah, wie der Junge zu ahnen begann, dass er nicht gekommen war, um ihn zu unterstützen. Es schien fast so, als habe er es erwartet. Er atmete tief aus, und dann bückte er sich und hob ein Schild auf, das bis dahin auf dem Boden gelegen hatte. Ein Stöhnen ging durch die Menge. Mimmo hob den Kopf und sah mit Entsetzen die Zeilen vor sich.
     

Verflucht sei die weiße Katze!
    Die Leute begannen zu murmeln, manche Stimmen wurden lauter und ungehaltener, und Mimmo schien, als rücke die Menge enger zusammen, als schlösse sich ein Ring um den Jungen und damit auch um ihn. Er ging noch ein paar Schritte zurück, in der vergeblichen Hoffnung, im Schatten zwischen der gesichtslosen Menge untertauchen zu können. Plötzlich löste sich aus der undurchdringlichen Masse jenseits der Scheinwerfer eine Gestalt und trat hervor. Mimmo fuhr herum, in Erwartung, ihm gegenüberzustehen, von ihm zur Rechenschaft gezogen zu werden für das, was er versäumt hatte. Doch es war nur ein Mädchen. Ein junges Mädchen in Jeans, die kaum bis zur Hüfte reichten, und einem rosaroten Top. Ihre glänzenden schwarzen Haare waren aufgesteckt, und an ihrer Nase glitzerte ein silberner Ring. Mit wiegenden Hüften stolzierte sie an Filippos Seite und sah herausfordernd in die Runde. Das bedrohliche Geraune verstummte. Stattdessen umgab sie verblüfftes Schweigen. Das Mädchen reckte

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