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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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fluchend, wenn ein Mofafahrer nicht sofort auswich oder eine Hausfrau mit ihrer Einkaufstüte nicht schnell genug zur Seite sprang. Dann hatte er San Sebastiano hinter sich gelassen. An einer Straßenkreuzung direkt hinter dem Städtchen zweigte die Straße nach Torre Calo ab, man konnte von dort bereits die wenigen Häuser sehen, die sich wie im Kampf gegen die Schwerkraft an den Berg zu klammern schienen. Der Sergente passierte die Einfahrt von La Oliveta, dem Gut der Familie de Caprisi, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, und gab Gas, als sich die Straße weitete und ein paar Kilometer an einer verfallenen Steinmauer entlang geradeaus in einer sanften Steigung nach oben führte. Dort lag das »Borgo rosato«, das »bessere« Viertel von Torre Calo. Sergente Barbabietola fuhr an Kindern vorbei, die auf einem rostigen Klettergerüst herumturnten, und musste an einer Baustellenampel endlos warten. Dann lag auch das »Borgo rosato« hinter ihm, und die Straße wurde enger, steiler. Bereits nach wenigen hundert Metern verschwanden die letzten Häuser des »Borgo rosato« in seinem Rückspiegel. Es gab nur noch die Straße, die sich in endlosen Serpentinen durch Gestrüpp und Steine den Berg hinaufwand. Dann gelangte der Sergente am Ortseingang von Torre Calo an. Er bremste und sah hinunter in die Ebene. In der Ferne leuchtete das Meer. Hier oben rüttelte der Wind an seinem Auto. Nach einem unbehaglichen Blick zu den düsteren Häusern hinüber, die sich an der Kante des Berges zusammendrängten, stieg er aus. Ein paar Minuten konnte seine unangenehme Mission noch warten. Der Wind empfing ihn scharf und kalt, und er musste sich in das Innere seines Autos beugen, um sich seine Marlboro anzuzünden. Das Gesicht vom Wind abgewandt, ging er ein paar Schritte von der Straße weg, bis zu einem Vorsprung, an dem der Berg steil abfiel, hinunter in die Schlucht, die sich bis San Sebastiano zog. Dort, am exponiertesten Punkt stand ein übermannshohes, hölzernes Kruzifix mit einem von Sonne, Regen und dem ewigen Wind ausgeblichenen Christus. Seine Wunden hatte jemand mit roter Farbe nachgemalt, sodass sie sich grell von dem ausgelaugten Holz abhoben. Die Brust der hölzernen Figur war von Einschusslöchern übersät. Sergente Barbabietola starrte auf das abgesplitterte Holz und schüttelte den Kopf. Was war das für ein Ort, an dem man ein Kruzifix für Schießübungen benutzte? Solche Orte gab es hier haufenweise. Er stieg wieder ein.
    Langsam fuhr er durch das Dorf. Vorbei an dem ärmlichen Lebensmittelladen am Ortseingang und vorbei an der einzigen Bar, die einer Wartehalle glich, mit grünen Plastikstühlen davor, aufgereiht entlang der Hausmauer. Ein paar Männer saßen dort bereits und warfen dem Polizeiauto unverhohlen feindselige Blicke zu. Ein Mann mit Baskenmütze überquerte die Straße unmittelbar vor dem Sergente, sodass er scharf bremsen musste, um ihn nicht zu überfahren. Der Mann zuckte nicht mit einer Wimper. Er blieb vor dem Auto stehen und spuckte verächtlich aus. Dann ging er weiter. Der Sergente hielt es für klüger, ebenfalls weiterzufahren, und verwünschte zum wiederholten Male den Fortbildungsdrang seines Kollegen Zampiero. Mit einem Blick auf die Adresse, die zusammen mit der Wegbeschreibung auf dem Beifahrersitz lag, fuhr er die ansteigende Straße entlang und hielt endlich vor einem heruntergekommen Haus am anderen Ende des Dorfes. Beklommen angesichts der Aufgabe, die nun unweigerlich vor ihm lag, stieg Sergente Barbabietola aus.
     
    Wie jeden Vormittag machte sich Dottore Giuseppe Isotti beim Läuten des Campanile auf den Weg. Er nahm seinen schwarzen Hut und den schönen, polierten Gehstock, den seine Frau ihm vor vielen Jahren geschenkt hatte, als die Probleme mit den Hüften angefangen hatten. Später waren noch seine Knie dazugekommen, doch das hatte seine Frau schon nicht mehr erlebt. Vielleicht hätte sie ihm dann eines dieser modernen Gehwägelchen geschenkt, mit Gummireifen, einem Korb aus Draht vorne und einer Bremse. Nicht dass er so eine Hilfe nicht hätte gebrauchen können, vor allem beim Einkaufen, aber er wusste, er hätte sie doch nie benutzt. Dazu war er trotz seiner nun schon achtzig Jahre noch viel zu eitel. Lieber ging er langsamer, machte mehrere Pausen unterwegs, was ja auch sein Gutes hatte. So verging die Zeit, und davon hatte er schließlich mehr als genug, seit er mit fast fünfundsiebzig seine Praxis aufgegeben hatte. Er hätte gerne noch weitergearbeitet,

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