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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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das Baby von Francescas einundzwanzigjährigen Tochter Giuseppina, die unten im Supermarkt von San Sebastiano arbeitete, krabbelte auf dem Boden herum und sammelte mit ihrem kleinen, dicken Zeigefinger Krümel auf, die sie erst eingehend betrachtete, bevor sie sie in den Mund schob. Francesca hob sie hoch und wischte ihr mit dem Zipfel ihres Kleidchens über die Finger. Dann gab sie ihr ein Stück weiches weißes Brot und setzte sie wieder ab.
    Rosa griff nach Francescas Hand, die kalt wie Eis war, und zog sie heran. »Wie geht es dir, cara ?«
    Francesca richtete ihre beunruhigend hellen Augen auf die alte Frau und sagte: »Mein Sohn ist tot.« Dann setzte sie sich und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
    Rosa Pizzichino schwieg. Schließlich sagte sie: »Dottore Isotti ist heute Morgen ermordet worden.«
    Francesca ließ die Hände langsam sinken »Was? Warum sollte ihn jemand umgebracht haben?«
    »Na, wegen dem de-Caprisi-Jungen und deinem Sohn.«
    »Wovon sprichst du?«
    Rosa Pizzicchino musterte sie über die Ränder ihrer großen Brille hinweg und zischelte ungläubig. »Sag bloß, das weißt du nicht? Hast du vielleicht nicht einmal das von dem Journalisten gehört? Was gestern Nacht auf dem Fest der Strega passiert ist?«
    Francesca schüttelte langsam den Kopf.
    Rosa warf ihr einen prüfenden Blick zu, überlegte, ob sie diese Neuigkeiten überhaupt verkraften könnte, jetzt, heute, nachdem das mit Angelo passiert war. Aber sie würde es ja sowieso alles erfahren. Wenn nicht von ihr, dann von anderen. Dann lieber von ihr, ihrer Nachbarin und Freundin. Also setzte sie sich zurecht, schob ihren beachtlichen Busen unter der geblümten Bluse in die richtige Position und begann mit der Schilderung der gestrigen Ereignisse.
    Francesca starrte sie an. »Ein Bild hat er aufgehängt, sagst du? Von Angelo?«
    Rosa nickte. »Es ist nur eine Zeichnung, aber man kann ihn gut darauf erkennen.«
    Francesca reagierte nicht so, wie Rosa es befürchtet hatte. Sie reagierte überhaupt nicht. Ihr Blick war irgendwo in die Ferne gerichtet, und ihre Finger zerkrümelten geistesabwesend einen Brotrest auf dem Tisch. Das konnte nur eines bedeuten.
    Rosa beugte sich vor, zwang Francesca, ihr in die Augen zu sehen. »Wusstest du es? Wusstest du, dass er dabei war, als sie den Jungen entführt haben?«
    Francesca schloss die Augen. Ihre Lippen begannen zu zittern, und sie hielt eine Hand vor den Mund. »Angelo ist zu mir gekommen. Er hätte ihn töten sollen. Stattdessen ließ er ihn laufen. Er hatte den Befehl missachtet. Du weißt, was das bedeutet?«
    Rosa nickte atemlos. Jedes Kind wusste das.
    »Ich habe ihn noch am gleichen Tag in den Bus nach Reggio gesetzt, von dort ist er mit dem Zug nach Deutschland. Dort lebt eine Verwandte von mir. Ich dachte, dort wäre er sicher.« Ihre Stimme knickte, zerbrach. Sie schluckte und drängte die ungeweinten Tränen zurück, die ihr im Hals steckten.
    Rosa Pizzichino ließ ihren Blick auf das kleine Mädchen sinken, das zu ihren Füßen saß und das Brot in ihren Händen zu Brei verarbeitete. Sie hob es hoch und setzte es auf ihren Schoß. Dann sagte sie: »Jetzt jedenfalls wissen es alle.« Sie streichelte das Baby über den Kopf und fuhr fort: »Er hat ein Schild dabei, der junge de Caprisi. Weißt du was darauf steht?« Sie sagte es ihr und schnaubte zufrieden, als sie Francescas entsetztes Gesicht sah. »Damit ist er eindeutig zu weit gegangen, sag ich dir, der Junge wird diese Woche nicht überleben, ein testardo wie sein Vater und dessen Vater auch, der alte de Caprisi. Die haben schon zusammengepasst, er und die Baronessa, sie ist ja gar keine Baronessa, jeder nennt sie nur so, weil sie die Nase noch immer in den Himmel hält, und um sie herum stirbt die ganz Familie. Und die arme Schwiegertochter, hast du die eigentlich gekannt? Aus Reggio kam sie, blond wie ein Engel, die hat es hier oben nicht lange ausgehalten …«
    Francesca hörte nicht mehr zu, wie der Redefluss ihrer Nachbarin dahinplätscherte, nur unterbrochen von einem gelegentlichen Zischen und Saugen und Koseworten für das Baby auf ihrem Schoß, das jetzt das Brot vergessen hatte und sich stattdessen mit den Ohrringen der alten Dame beschäftigte. Ihre Gedanken schweiften ab, flogen zu dem unbekannten jungen Mann auf der Piazza. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie Angelo ihm die Fesseln gelöst und ihn damit vor dem sicheren Tod bewahrt hatte. Hatten sie miteinander gesprochen? Hatte es so etwas wie ein Freundschaft

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