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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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sie traf, und schloss sie schnell wieder. Tastend fand sie den Schalter und knipste die Lampe aus. Das aufdringlich gelbstichige Leuchten verschwand hinter ihren Lidern, und graues Morgenlicht blieb übrig. Schon besser. Sie versuchte aufzustehen, doch das erlaubte der Kobold nicht. Er zog die Schraubzwinge stärker an, und Clara wurde vor Schmerz übel. Sie ließ sich ächzend zurück ins Bett fallen und drehte sich weg. Weg vom Regen vor den Scheiben und dem grauen Licht und der Uhr auf dem Nachttisch.
    Als sie wieder erwachte, war ihr Gesicht feucht. Der Regen rauschte in ihren Ohren, und in ihrem Kopf hämmerte noch immer der Kobold. Doch da war noch etwas anderes. Etwas Nasses, Raues in ihrem Gesicht. Sie brauchte die Augen nicht zu öffnen, um zu wissen, was es war. Mit aller Energie, die sie aufzubringen imstande war, schob sie Elises Vorderpfoten von der Bettkante und wischte sich mit dem Zipfel ihrer Decke Elises Morgengruß aus dem Gesicht. »Bitte, lass das heute!«, murmelte sie schwach und schob versuchsweise ein Bein aus dem Bett. Dann das zweite und zum Schluss den Kobold, der unbedingt mitwollte und dies mit Hilfe seines Vorschlaghammers eindrücklich demonstrierte.
    »Aspirin!«, leuchtete es zwischen den einzelnen Schlägen in Claras Bewusstsein. Dann: »Dusche!« und »Kaffee!« So schnell es möglich war, eilte Clara los, um diesen rettenden Befehlen Folge zu leisten.
    Danach war Clara langsam wieder so weit hergestellt, dass sie einigermaßen klar denken konnte. Während sie sich in der Küche an der dickwandigen Kaffeetasse festhielt und überlegte, wie viel an Arbeit der heutige Tag verkraften musste, fiel ihr völlig unvermittelt ihr gestriger Auftritt im Murphy’s wieder ein, und sie schloss erschüttert die Augen. Wie lange war es her, dass sie das letzte Mal gesungen hatte? Öffentlich, vor Publikum? Fünfzehn Jahre. Und es war ihr so vorgekommen, als sei kein Tag vergangen. Alles war ihr noch präsent gewesen, die Texte, die Musik, ihre Stimme. Sie atmete tief ein und versuchte, die Gedanken daran beiseitezuschieben. Doch es gelang ihr nicht. Lange saß sie so in der Küche, die Beine untergeschlagen, auf ihrem altersschwachen Holzstuhl, den sie vor Jahren einmal mit Sean grün angestrichen hatte, und sah zum Fenster hinaus. Es regnete noch immer, und die Welt vor der nassen Scheibe erschien ihr unwirklich, verschwommen, wie untergegangen. Ihr Blick fiel auf die Teedosen auf dem Bord neben der Tür. Sie waren verstaubt, und ihre nostalgischen Muster hatten ihren Glanz verloren. Clara nahm sich vor, sie bei der nächsten Gelegenheit zu polieren. In ihrem Inneren polterte etwas, und es rührte nicht von ihrem strapazierten Magen her. Etwas löste sich wie Steine von einem Abhang, die krachend ins Tal stürzten. Irgendwann, nach einer stillen Ewigkeit, in der nur der Regen zu hören war, der gegen die Scheiben und aus den Regenrinnen plätscherte, stand sie auf und ging, die Kaffeetasse noch immer in der Hand, in ihr Schlafzimmer. Dort, in der Ecke, zugedeckt mit Zeitschriften, Fotos, einem Kerzenleuchter und einem Stapel Bücher, stand ihr Klavier. Es war bedeckt von der gleichen, dicken Schicht Staub wie die Teedosen in der Küche, und Clara wischte behutsam mit dem Ärmel darüber, bevor sie die Abdeckung öffnete. Ihre Hände wanderten suchend über die Tasten, dann schlug sie ein paar Töne an. So unerwartet klangen sie in dem vertrauten Raum, dass Clara die Tränen kamen und sie innehalten musste. Sie versuchte sie noch einmal, etwas kräftiger, und dann begann sie, leise, mit verrauchter, kratziger Stimme das letzte Lied von gestern Abend zu singen: Black is the colour of my true love’s hair …
    Sie spürte die Tränen auf ihrem Gesicht. Doch sie hörte nicht auf zu singen. Auch wenn es schrecklich klang. Das Klavier war verstimmt, und in ihrem Kopf hämmerte es. Ihre brüchige Morgenstimme hallte fremd von den hohen Wänden, und ihr Herz klopfte. Es war ganz anders als gestern, aber es war ein Anfang.
    Als sie aufstand und die Abdeckung fast liebevoll zuklappen ließ, fühlte sie, wie sich die letzten Steine lösten und hinunterkollerten. Sie nahm mit einer heftigen Bewegung die Zeitschriften von dem Klavier und warf sie auf den Boden. Dann wischte sie mit der Hand die Staubschicht notdürftig weg und stellte den Kerzenleuchter in die Mitte.
    Jetzt. Jetzt konnte der Tag beginnen.
    Prompt fielen ihr ihre Internet-Recherchen ein, die zu so erstaunlichen Ergebnissen geführt hatten.

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