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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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rechtfertigend die Arme. »Ja, ich bin zu spät …«
    »Sie hat ganz schön lange auf dich gewartet, Mann«, meinte Mick. Dann fügte er mit einem viel sagenden Grinsen hinzu: »Aber jetzt ist sie beschäftigt.«
    Willi verstand überhaupt nichts mehr. Was sollte das nun wieder bedeuten? »Willst du mich verarschen?«
    Micks Grinsen wurde breiter, dann schüttelte er den Kopf und deutete in den Gastraum, der sich links von der Bar öffnete und voll mit Menschen war. »Schau mal rein. Du wirst es nicht glauben!«
    Derart vorbereitet griff Willi nach seinem Bier und quetschte sich misstrauisch durch die Menge. Erst jetzt wurde ihm klar, dass heute eine Band auf der winzigen Bühne am anderen Ende des Raums spielte und es deshalb so voll war. Als er sich bis dorthin vorgekämpft hatte, sah er Clara endlich. Mit offenem Mund blieb er wie angewurzelt stehen.
    Clara stand auf der Bühne. Und sie sang. Zusammen mit dem Sänger der Band stand sie dort oben und sang irgendein irisches Lied, ganz so, als ob es das Selbstverständlichste auf der Welt wäre. Sie hatte eine kräftige Stimme, ein wenig rauchig, aber sicher und klar. Und sie sang den Text, als ob sie nie etwas anderes getan hätte.
    Willi nahm einen tiefen Schluck von seinem Bier. Er wusste, dass Clara in jungen Jahren durch Europa getingelt und schließlich in Irland hängen geblieben war. Doch sie sprach nie über diese Zeit, auch nie über ihren Exmann, Ian, den sie verlassen hatte, als ihr gemeinsamer Sohn vier Jahre alt war. Damals war sie nach München zurückgekommen und hatte das Studium begonnen. Dort, an der Uni hatten sich Willi und Clara kennengelernt. Sie waren im gleichen Semester gewesen, Willi jedoch vier Jahre jünger und um einiges naiver als Clara, die nebenbei noch ein kleines Kind zu versorgen gehabt hatte. Und trotzdem waren sie Freunde geworden. Gute Freunde. Wenngleich sich Willi so manches Mal gewünscht hätte, es wäre mehr daraus geworden. Aber er hatte sich nie getraut, irgendetwas in diese Richtung zu unternehmen, und Clara … Clara war trotz ihrer direkten, impulsiven Art doch immer unnahbar und in ihren Reaktionen unberechenbar geblieben. Und jetzt stand sie dort oben mit gesträubten Locken und funkelnden Augen in einem blassen Gesicht und sang irische Volkslieder. Die Zuhörer riefen den Musikern ihre Wünsche zu, und einmal nickte Clara. Sie antwortete lässig auf Englisch, und wiederum hatte Willi das Gefühl, sie habe noch nie etwas anderes getan. Sie machte einen Witz, und die Leute lachten, und dann setzte sie sich wie selbstverständlich an das Klavier in der Ecke und begann, mit leichten Fingern eine langsame Melodie zu spielen. Das Lied handelte von einem einsamen Mann in der Ferne, der sich nach seiner schwarzhaarigen Braut verzehrt, und so wie Clara sang, klang es gerade so, als wäre sie es, die sich nach einem verloren gegangenen Geliebten sehnte. Willi fragte sich unwillkürlich, ob Ian wohl schwarzhaarig war, und wunderte sich über den winzigen Eifersuchtsstich, der ihn daraufhin traf. Es war still geworden in dem mit Menschen vollgestopften Raum, und Willis Blick wanderte zu den Rauchschwaden hinauf, die sich in langsamen, fließenden Bewegungen um die Deckenlampen sammelten. Ein Gefühl von Sehnsucht erfasste ihn, doch er weigerte sich, es in Worte zu fassen. Es blieb unwirklich und ebenso wenig fassbar wie der Rauch an der Decke, und als Claras Stimme verstummte und Applaus aufbrandete, löste es sich in dem Nichts auf, aus dem es gekommen war. Er trank sein Glas aus und stellte es beiseite, um ebenfalls zu klatschen. Clara war wieder aufgestanden und bedankte sich, ihre Wangen waren gerötet. Dann hob sie kurz eine Hand zum Abschied und sprang leichtfüßig von der Bühne hinunter. Einen Augenblick später war ihr Kopf zwischen dem Publikum verschwunden. Willi versuchte, sich in ihre Richtung zu drängen, doch es gelang ihm nicht. Die Band begann wieder zu spielen, und die Stimmung wurde laut und ausgelassen. Willi blieb nichts anderes übrig, als zurück zu Mick an die Bar zu gehen. Und dort, an ihrem angestammten Platz, saß Clara, ihr ganz persönliches Whiskeyglas, gefüllt mit einem Zentimeter bernsteinfarbener Flüssigkeit, in der Hand. Sie sah ihn kommen und hob andeutungsweise ihr Glas, trank aber nicht, sondern ließ es nachdenklich zwischen ihren Händen kreisen.
    Eine plötzliche Verlegenheit erfasste Willi. Er war überrascht gewesen von Claras Auftritt und ein wenig irritiert, aber es hatte ihm

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