Das Gesetz Der Woelfe
Essen war noch Zeit genug.
Pöttinger begann mit gerunzelter Stirn die dürftige Speisekarte zu studieren und warf Clara einen vorwurfsvollen Blick zu. »Du meinst, wir sollten wirklich hier essen?«
Clara nickte nachdrücklich. »Man muss auch mal Opfer bringen können, mein Lieber.«
Pöttinger seufzte und steckte die Karte zwischen die klebrigen Essig- und Ölflaschen, die in einem kleinen Plastikkörbchen auf dem Tisch standen.
Der Wein entpuppte sich als besser als erwartet. Doch Pöttinger hatte es dem Kellner auch nicht leicht gemacht. Die offenen Weine hatte er rundheraus abgelehnt und sich die Flaschenweine aufzählen lassen, die nicht auf der Karte standen. Clara hatte übersetzt, und schließlich hatte man sich auf eine Flasche Rosso Piceno geeinigt.
Clara entschied sich für Spaghetti al pesto , die auf den Punkt genau al dente waren und aromatisch nach frischem Basilikum dufteten.
Auch Pöttinger schien mit seinen dampfenden, mit reichlich Soße versehenen Penne all’arrabbiata zufrieden und gab sich geschlagen, als Clara ihm einen triumphierenden Blick zuwarf. »Ja, ja, schon gut, ich hab’s kapiert, auf die inneren Werte kommt es an.« Er nahm einen kräftigen Schluck Wein und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes, denn die Schärfe seiner Nudeln trieb ihm das Blut ins Gesicht.
Während sie sich einträchtig ihrem Essen widmeten, warf Clara unauffällige Blicke hinter den Tresen des Restaurants. Ein junger Kellner stand dort, mit Pausbacken und etwas unbedarftem Gesichtsausdruck. Sie versuchte, in die Küche zu spähen, doch sie konnte nichts sehen. Wie viele Angestellte mochte die Pizzeria wohl beschäftigen? Ob sie bereits einen Ersatz für Angelo hatten?
Endlich schob Clara zufrieden ihren leeren Teller zur Seite und griff nach ihrem Weinglas. »Ich frage mich, ob es sinnvoll wäre, den Wirt wegen einer Kaution für Malafonte anzusprechen?«, meinte sie nachdenklich und warf einen skeptischen Blick in Richtung Küchentüre.
»Wie denkt dein Mandant denn darüber?«, fragte Arno Pöttinger und wischte seinen Teller hingebungsvoll mit einer Scheibe Weißbrot sauber.
»Ich habe überhaupt nicht mit ihm darüber gesprochen.« Clara nahm einen Schluck Wein und kramte ihre Zigaretten hervor.
»Wieso denn nicht?«
»Ich weiß nicht, wie ich sagen soll, ich hatte da so ein Gefühl …«
»Oh, ein Gefühl!«, wiederholte Pöttinger amüsiert. Es geschah selten genug, dass Clara mit ihm über Gefühle, gleich welcher Art, sprach.
Clara zögerte: »Er kommt mir … na ja, ziemlich allein vor. Es scheint mir nicht so, als ob er sich von irgendwem Unterstützung erhofft.« Sie holte tief Luft und sagte: »Er hat unglaubliche Angst. Vollkommen übertrieben eigentlich, auf den ersten Blick, aber andererseits … Da steckt etwas dahinter, etwas, was ich nicht sehen kann, was aber da ist. Eine echte Bedrohung, die gar nichts mit dem bisschen Gras zu tun hat. Er benimmt sich wie in die Enge getrieben, so als ob er auf den entscheidenden, letzten unausweichlichen Schlag warten würde.«
Pöttinger hob erstaunt die Brauen. »Kann es sein, dass du da ein wenig übertreibst?«, fragte er skeptisch.
Clara zuckte ratlos die Schultern. »Kann schon sein. Aber wenn nicht? Es lässt mir keine Ruhe. Was, wenn ich etwas übersehe? Wenn ich ihm helfen könnte?«
»Wenn er sich nicht helfen lässt, kannst du nichts für ihn tun, meine Liebe, so einfach ist das.« Pöttinger schenkte ihnen nach.
Clara runzelte die Stirn. »Das meinst du doch jetzt nicht ernst, oder?«
»Todernst.« Pöttinger verzog keine Miene.
»Ausgerechnet du ! Wie oft hast du dich schon engagiert für Typen, denen kein Mensch auf der ganzen Welt hätte helfen wollen? Die es dir nicht einmal gedankt haben? Es ist dir immer auch ums Prinzip gegangen …«
»Eben!« Pöttinger grinste. »Und welchem Prinzip folgst du? Dem Pizzabäcker-Rettungsprinzip?«
Dieses Mal ließ sich Clara von seinen Spötteleien nicht aus der Reserve locken, sondern lächelte nur milde, während sie einen Stapel Papiere aus ihrer Tasche zog. »Mein Guter, hier geht es um ein Prinzip, nach dem du dir alle zehn Finger abschlecken würdest, wenn es dein Fall wäre!« Und sie begann vor dem erstaunten Pöttinger ihre gestrigen Erkenntnisse aus dem Internet auszubreiten: Ein Bericht über mehrere Klagen italienischer Staatsbürger beim Europäischen Gerichtshof, die sich gegen die Abschiebepraxis der bayerischen Gerichte richteten. Artikel aus italienischen
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