Das Gesetz Der Woelfe
Sein Adamsapfel hüpfte in seiner Kehle. Doch er schwieg eisern.
Clara dachte an Barlettas schalen Atem in ihrem Nacken, sein Flüstern in ihrem Ohr, an Moros Gesicht und die Verzweiflung in seinen Augen und spürte, wie sie die Geduld verlor. Sie hob die Stimme: »Wer ist das? Was will er von Ihnen? Warum verfolgt er Sie? Und erzählen Sie mir nicht, es wäre nur eine kleine Meinungsverschiedenheit unter Landsleuten!«
Malafonte reagierte kaum. Er schüttelte nur ein wenig den Kopf, fast unmerklich. Wie zur Warnung.
Sie packte den jungen Mann am Arm und schüttelte ihn. »Was um Himmels willen haben Sie ausgefressen?«
Angelo verzog für einen Moment das Gesicht, und sie ließ erschrocken los. Offensichtlich bereiteten ihm die »blauen Flecken« doch erheblich mehr Schmerzen, als er und der Beamte sie wissen lassen wollten. Frustriert und wütend lehnte sie sich zurück. Malafonte gab keine Antwort. Er starrte auf die Zigarette, die ungeraucht zwischen seinen Fingern langsam abbrannte, und zeigte nicht die geringste Reaktion auf Claras Fragen. Clara bemerkte, dass seine Hände leicht zitterten, und fragte sich, ob die Anstrengung, sich trotz der geprellten Rippen aufrecht zu halten, oder etwas anderes die Ursache dafür war. Der junge Italiener schien ihr mehr denn je ein reines Nervenbündel zu sein.
Sie schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. »Reden Sie endlich mit mir, verdammt noch mal!«
Angelo zuckte zusammen, doch er schwieg hartnäckig weiter.
Clara beugte sich über den Tisch: »Ihr feiner Freund, Gaetano Barletta, hat Massimo Moro das Gesicht zerschnitten. Sie kennen doch Massimo, nicht wahr? Ihr Friseur. Ihm fehlt jetzt ein Stück seiner Nase. Können Sie sich vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man aussieht wie ein Zombie aus einem Horrorfilm? Und wissen Sie was? Barletta hat auch mich schon besucht. Er weiß, wo ich wohne, und er hat mich bedroht. Und ich will jetzt verdammt noch mal wissen, warum!« Die letzten Worte schrie sie fast, und es war ihr vollkommen egal. Sie hatte keine Geduld mehr, sie konnte dieses viel sagende Schweigen nicht mehr ertragen.
Angelo starrte sie an. Die Ausdruckslosigkeit in seinem Blick war für einen Augenblick nackter Angst gewichen. »Il gatto bianco si è svegliato«, flüsterte er.
»Wie bitte? Ich verstehe Sie nicht …«
Malafonte stand mühsam auf und ging zur Tür. Heftig schlug er mit der rechten Hand dagegen, während er die Linke um den Leib geschlungen hielt. Sofort kam der Beamte herein.
»Nein. Halt! Wir sind noch nicht fertig!«, rief Clara.
Doch Angelo Malafonte schüttelte den Kopf und sagte zu dem Wachmann in mühsamem Deutsch: »Frau Niklas ist nicht mehr meine Anwältin.« Dann ging er ohne ein weiteres Wort hinaus.
KALABRIEN
Chi è surdu, orbu è taci
campa pi cent’ anni in paci …
Wer taub, blind und stumm ist,
lebt gut hundert Jahre in Frieden …
Aus: »Omertà, Onuri e Sangu; Il Canto di Malavita«
Traditionelle Lieder der kalabresischen Mafia
Er musste noch einmal dort hinauf. Es war ihm von Anfang an klar gewesen, und doch fürchtete er sich. Er fürchtete sich so sehr, wie er es nie für möglich gehalten hätte. War es nicht leichter jetzt, nachdem alles begonnen hatte? Nachdem es kein Zurück mehr gab? Hatte er nicht die Hürden alle gemeistert und selbst seine Großmutter, wenngleich nicht überzeugt, so doch dazu gebracht, seinen Entschluss zu akzeptieren? Hatte er nicht gut geschlafen in letzter Zeit? Doch, und alles war besser geworden seither, und gerade deswegen hatte er solche Angst. Als er sich vor fast einem halben Jahr aufgemacht hatte, hinaufzusteigen und zu suchen, war es wie ein Traum gewesen. Ein Albtraum vielleicht, aber doch nur ein Traum. Jetzt, nachdem er begonnen hatte, sein Schicksal endlich in seine eigenen Hände zu nehmen, war alles um ihn herum Realität geworden, und es würde hart werden, noch einmal hinaufzugehen auf den Berg.
Es hatte lange gedauert das letzte Mal. Nicht weil der Weg so weit gewesen wäre. Sondern weil er seinen eigenen Weg finden musste. Aus dem Gedächtnis. Querfeldein, den alten Weg, den er damals gerannt, gestolpert, gefallen war. Mit seinem gebrochenen Knöchel, der nie mehr richtig geheilt war, mit stinkenden Kleidern und halb blind von der lange währenden Dunkelheit. Doch er hatte seinen Weg wiedergefunden. Nach merkwürdigen Zeichen hatte er sich orientiert, einem Stein, einem langen Graben, der Form eines Hügels am Horizont.
Und jetzt
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