Das Gesetz Der Woelfe
einzuschüchtern. Und sie wollte wissen, was es war, was ihn dazu veranlasste. Wenn ich schon bedroht und verfolgt werde, dann will ich wenigstens wissen, warum, dachte sie grimmig, während sie die Lichter löschte und die Kanzlei absperrte.
Rita war ziemlich schweigsam, als Clara kam, um Elise abzuholen. Die Dogge lag wie immer hoffnungsvoll vor der Küchentür und würdigte Clara nur eines kurzen Blickes, der von einem höflichen Schwanzwedeln begleitet wurde, bevor sie ihre ganze Aufmerksamkeit wieder der Schwingtür und den Köstlichkeiten, die dort heraus den Weg zu ihrer Nase fanden, zuwandte. Es war wenig los. Nur die üblichen Stammgäste, Singles, die hier nach der Arbeit eine Kleinigkeit aßen, um ihren leeren Kühlschrank daheim nicht ansehen zu müssen, und noch ein wenig Aufschub brauchten, bevor sie den restlichen Abend vor dem Computer oder dem Fernseher verbrachten. Für das eigentliche Abendgeschäft war es noch zu früh. Die Kellner, Pizzabäcker und Küchengehilfen aus den umliegenden Pizzerien kamen erst nach Dienstschluss gegen elf, halb zwölf. Frisch geduscht und nach der neuesten Mode gekleidet, trafen sie sich bei Rita: junge Männer, rastlos, streunend, auf der Suche nach irgendetwas, das ihnen Ersatz bot für Freunde und Familie. Sie trafen sich, redeten, standen herum und warteten, bis es endlich Zeit war loszuziehen, bis es spät genug war für ihre ewig gleichen Streifzüge durch die Clubs und Diskotheken bis zum Morgengrauen.
Clara setzte sich zu Rita an die Bar und bestellte ein Glas Weißwein und einen Teller Spaghetti. Anders als sonst gesellte sich Rita nicht zu ihr, sondern werkelte am anderen Ende des Tresens herum, polierte Gläser, rückte die Tassen und Unterteller, die auf der Kaffeemaschine sorgfältig gestapelt waren, ein ums andere Mal zurecht. Clara beobachtete sie dabei, während sie ihre Nudeln um die Gabel wickelte. Sie spürte erst jetzt, wie hungrig sie war. Als sie ihren Teller in Rekordgeschwindigkeit geleert hatte, nahm sie einen tiefen Schluck von dem Wein, der ihr kühl und frisch die Kehle hinunterrann und sie zu einem tiefen, wohligen Seufzer veranlasste. Sie überlegte, ob sie sich bei Rita für ihre harten Worte von heute Nachmittag entschuldigen sollte, entschied sich aber dagegen. Es gab nichts, wofür sie sich hätte entschuldigen müssen. »Danke«, sagte sie stattdessen, »dass Elise bei dir bleiben durfte.«
Rita schenkte ihr ein warmes Lächeln, und Clara erkannte, dass sie ihr nicht böse war. »Das ist doch selbstverständlich«, meinte sie und trocknete sich die Hände ab.
Clara nickte langsam. Ja, das war es wohl, unter Freunden. Sie hob ihr Glas. »Trinkst du ein Glas mit mir?«
Rita holte die Flasche aus der Kühlung unter dem Spülbecken und schenkte sich ein Glas von dem fast farblosen Wein ein, der so kalt war, dass das Glas beschlug. Dann zog sie sich ihren Hocker heran und setzte sich Clara gegenüber, die noch immer wohlgeformten, braunen Beine unter dem knappen Rock elegant gekreuzt. »Du bist mir nicht böse?«, fragte sie, und Clara meinte, in Ritas Augen so etwas wie ein schlechtes Gewissen erkennen zu können.
»Böse? Ich?« Clara schüttelte den Kopf. »Ich dachte, du wärst sauer auf mich.«
Wie ein Echo schüttelte auch Rita den Kopf. »Aber nein!« Dann trank sie einen Schluck und fragte zögernd: »Wie geht es dem Jungen?«
Clara war versucht zu sagen, gut, alles in Ordnung, um die wiedererlangte Harmonie mit Rita nicht gleich wieder zu zerstören, doch es gelang ihr nicht. Angelos rätselhaften Worte standen ihr vor Augen, und sie wollte wissen, was dahintersteckte, sie musste es wissen, sonst würde sie heute Nacht kein Auge zutun. Doch andererseits wollte sie Rita nicht wieder verschrecken. Aber wie konnte sie das, wenn sie doch nicht einmal wusste, worum es ging? Und vielleicht konnte Rita ja mit Angelos kryptischer Ankündigung ebenso wenig anfangen wie sie selbst? Sie zögerte und schob ihr Weinglas, das feuchte Ringe auf dem Tresen hinterlassen hatte, ein wenig hin und her. »Er sagte etwas von einer Katze, die aufgewacht sei, einer weißen …«
Ein Geräusch ließ sie verstummen, und sie warf Rita einen erschrockenen Blick zu. Rita hatte aufgestöhnt, ganz leise nur, niemand außer Clara hatte es gehört, aber es war eindeutig ein Laut des Entsetzens gewesen, der ihr trotz aller Selbstbeherrschung entkommen war.
Clara schluckte. Was in aller Welt passierte hier? »Bitte, Rita! Sag mir, was das zu bedeuten
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