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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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unsicher, ob sie richtig verstanden hatte: »Warten worauf?«
    Rita lächelte bitter: »Auf die Bestrafung. Wir wussten, sie würde kommen. Irgendwann würde sie kommen. Wir konnten niemandem mehr vertrauen. Es war egal, was wir taten, wohin wir gingen, sie würden uns finden. Wir haben begonnen, Abschied zu nehmen, so zu leben, als wäre jeder Tag der letzte. Jedes Mal, wenn Clemente aus dem Haus ging, verabschiedeten wir uns, als wäre es für immer. Wir ließen die Kinder nicht eine Sekunde mehr aus den Augen, sie durften mit niemandem spielen, wir luden niemand mehr zu uns ein, und niemand lud uns ein. Wir waren wie abgesondert, getrennt von den anderen durch eine unverzeihliche Tat. Und dann, am 12. Februar 1984, haben sie Clemente erschossen. Mitten auf dem Marktplatz in San Sebastiano, mit drei Schüssen in den Rücken, am helllichten Tag. Die Täter hat man nie gefunden. Vielleicht wurde nicht einmal nach ihnen gesucht.« Rita schloss die Geschichte mit einer hilflosen Handbewegung und ließ die Schultern sinken. Sie warf Clara einen schnellen Blick zu, als erwarte sie, Clara würde ihr nicht glauben oder sonst irgendwie falsch reagieren. Clara kannte diesen Blick nur zu gut. Er warnte, bat, pfleglich mit dem Gesagten umzugehen, nicht zu verletzen, nicht zu trösten, wo es keinen Trost gab.
    Clara brauchte sich keine Mühe zu geben, nichts Falsches zu sagen, denn sie wusste überhaupt nichts zu sagen. Schweigend zündete sie sich eine neue Zigarette an und sah zu, wie Rita ihnen ein letztes Mal Wein nachschenkte und dann die leere Flasche beiseitestellte. Dann griff sie unvermittelt nach Ritas Hand und drückte sie. Tränen traten ihr in die Augen, und sie zwinkerte heftig.
    Rita lächelte traurig und strich Clara über die Wange. »Es ist lange her, cara .«
    Clara fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann, nach einer langen Pause sagte sie: »Aber es ist nicht vorbei, nicht wahr? Il gatto bianco si è svegliato .«
    Rita nickte.
     
    Als Clara wenig später mit Elise nach Hause ging, kehrten ihre Gedanken immer wieder an diesen unbekannten Ort im fernen Süden zurück, aus dem Rita und Angelo Malafonte stammten. Angst erfasste sie, als sie an Ritas Geschichte dachte, die sie so viel hatte begreifen lassen und doch auch eine Menge weiterer Fragen aufwarf. Was hatte Angelo getan? Was war seine unverzeihliche Tat gewesen, vor dessen Bestrafung er so verzweifelt zu flüchten versuchte? Il gatto bianco si è svegliato , murmelte sie leise vor sich hin. Die weiße Katze war der Schlüssel. Wer war sie? Weshalb hatte sie solche Macht über die Menschen? Konnte es sein, dass Gaetano Barletta die weiße Katze war? Clara schüttelte den Kopf, noch bevor sie die Frage zu Ende gedacht hatte. Sie hatte Barletta zwar nicht deutlich gesehen, doch sie war sich sicher, dass er noch nicht sehr alt war, sicher um einiges jünger als sie selbst. Und auch wenn Rita es nicht direkt ausgesprochen hatte, war eines klar: Die weiße Katze, was oder wer auch immer das sein mochte, war auch verantwortlich für den Tod von Ritas Mann. Und das war vor dreiundzwanzig Jahren gewesen. Damals hatte Barletta wahrscheinlich noch die Schulbank gedrückt. Aber vielleicht war es auch gar keine reale Person, sondern eine Organisation? Eine Verbrecherbande … Clara blieb nachdenklich stehen und starrte ins Leere. Sie konnte sich nur eine Organisation vorstellen, die jemanden so unerbittlich verfolgte.
     
    Irgendwann in der Nacht wachte Clara mit einem Ruck auf. Sie wusste nicht, was sie geweckt hatte. In ihrem Schlafzimmer war es stockdunkel und stickig. Sie tastete nach dem Lichtschalter und sah auf die Uhr. Halb zwei. Müde schälte sie sich aus dem Laken und öffnete das Fenster. Es regnete. Die feuchte, kühle Nachtluft ließ ihre Erinnerung zurückkehren. Sie hatte von Sizilien geträumt. Sie hatte am Fuß eines Hügels gestanden, an dessen Flanke sich ein Weg zum Gipfel hinaufwand, unzählige flache, von der Sonne gebleichte Steinstufen, zwischen denen dürres Gras wucherte. Die Zikaden sangen in der flirrenden Hitze, und Eidechsen huschten vor ihren Schuhen davon, während sie begann hinaufzusteigen. Oben würde sie ein Tempel erwarten. Auch wenn sie ihn noch nicht sehen konnte, wusste sie, dass er da war. Die Sonne verbrannte ihr Schultern und Rücken, und Clara musste sich ständig den Schweiß aus dem Gesicht wischen, während sie langsam, Schritt für Schritt den Hügel erklomm. Die Stufen schienen nicht zu enden, und ihre Füße

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