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Das Gesetz Der Woelfe

Titel: Das Gesetz Der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Rusch
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waren aus Blei. Das strahlende Blau des Himmels stach ihr in die schmerzenden Augen, und die Sonne in ihrem Rücken trieb sie vorwärts. Endlich, völlig erschöpft kam sie oben an. Der Tempel wirkte erhaben, und Clara beschleunigte mit letzter Kraft ihre Schritte, um hineinzugelangen. Endlich raus aus der Hitze, in den kühlenden, schützenden Schatten der alten Mauern. Doch in dem Moment, als sie die Säulen durchschritt, bemerkte sie, dass der Tempel gar kein Dach hatte. Die Sonne schien unbarmherzig auf den Boden aus nackten Steinquadern und brachte ihn schier zum Glühen. Kein Schatten weit und breit. Clara blieb inmitten der nutzlosen Säulen stehen, die wie einzelne, steinerne Finger in den Himmel hinaufzeigten, und ein Gefühl völliger Vergeblichkeit erfasste sie. Es gab kein Entrinnen. In dem Moment, als ihr dies klar wurde, war sie aufgewacht.
    Clara spürte, wie in der kalten Nachtluft der Schweiß in ihrem Nacken und zwischen den Schulterblättern zu trocknen begann. Sie fröstelte und rieb ihre nackten Oberarme. Es gab tatsächlich einen Tempel ohne Dach in Sizilien, sie war damals auf ihrer Rundreise mit Sean dort gewesen. Sie hatte ihn wunderschön gefunden. Weitab von den üblichen Touristenrouten stand er auf einem Hügel inmitten blühender Macchia und unzähliger Agaven, deren Blütenstände weit in den Himmel hineinwuchsen. Doch im Traum hatte er ganz anders gewirkt, fremd, feindselig. Sie wandte sich vom Fenster ab und versuchte, die unbehagliche Stimmung abzuschütteln, die sie erfasst hatte. Eine merkwürdige Unruhe vertrieb die letzten Reste von Müdigkeit und ließ sie unschlüssig durch die Zimmer ihrer Wohnung streifen. Sie drehte alle Lichter an und wanderte an den Fenstern ihres Wohnzimmers entlang wie ein Tier, das man zu lange in einen Käfig gesperrt hatte. Dann ging sie ins Bad und drehte den Hahn auf. Sie ließ das Wasser über ihre Arme laufen, bis es eiskalt war, dann wusch sie sich das Gesicht und trank so durstig, als ob sie tatsächlich gerade in der Mittagshitze einen Berg erklommen hätte. Das kalte Wasser ließ sie wieder frösteln, doch es konnte die Eindrücke aus ihrem Traum nicht vertreiben. Sie grübelte nach, was er bedeuten könnte, gleichzeitig schalt sie sich selbst. »Es war nur ein Traum, nichts weiter.« Sie füllte ihren Zahnputzbecher mit Wasser und trank auch ihn in einem Zug aus, dann tappte sie barfuß und ohne sich abzutrocknen zurück in ihr Schlafzimmer. Das Bett war zerwühlt wie nach einer wilden Liebesnacht, ihr Kopfkissen lag auf dem Boden, und das Laken war zu einem Knäuel am Fußende zusammengerollt. Ihr Blick fiel auf das Klavier, auf dem sie vor ein paar Tagen zum ersten Mal nach so langer Zeit wieder gespielt und das sie seitdem nicht mehr angerührt hatte. Sie setzte sich und klappte die Abdeckung nach oben. Versuchsweise glitten ihre Finger über die Tasten und spielten eine leise Melodie. Nach und nach wurde diese Melodie zu Bruchteilen eines Stückes, das sie erst wieder aus dem Gedächtnis hervorkramen musste. Es war von Chopin. Sie hatte es auswendig gekonnt, vor vielen Jahren. Langsam tastete sie sich an die einzelnen Töne heran, probierte aus, verwarf und spielte die Teile, die sie sich aus den Winkeln der Vergangenheit zurückerobern konnte, immer wieder, ohne daran zu denken, dass die Mieter über ihr womöglich kein Interesse daran haben könnten, nachts um halb drei von Chopin geweckt zu werden. Doch das leise, vorsichtige Klavierspiel endete plötzlich, als Clara erschrocken beide Hände auf die Tasten fallen ließ, was einen schrillen Missklang erzeugte. Ihre Hände blieben bewegungslos auf den Tasten, der Ton hing noch im Raum, eine unangenehme, schmerzende Dissonanz. Sie hallte in Claras Ohren nach wie das boshafte Kreischen einer finsteren Kreatur aus einem Albtraum.
     
    Es gibt kein Entrinnen , wiederholte sie flüsternd die Botschaft ihres Traums, erschrocken von der Wucht dieser Worte. Das war es gewesen, was der Traum ihr hatte sagen wollen. Was sie bisher noch nicht wirklich begriffen hatte. Sie war zu sehr damit beschäftigt gewesen herauszufinden, weshalb und warum Angelo solche Angst hatte, dass sie darüber vollkommen vergessen hatte, dass dies im Augenblick völlig unerheblich war. Denn, wenn sie auch noch nicht wusste, warum , so wusste sie doch, von wem die Bedrohung ausging. Die weiße Katze hatte ihren Häscher längst geschickt: Gaetano Barletta war nicht irgendwo, tausend Kilometer weit entfernt in Italien, wo

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