Das Gesetz Der Woelfe
beschienen von der hellen, milden Morgensonne.
Clara zog ihr zerknautschtes Kissen unter ihrem Kopf hervor und drückte es sich aufs Gesicht, umarmte es wie einen Liebhaber, vergeblich bemüht, damit die Bilder und Geschichten aus ihrem Kopf zu vertreiben. »Du machst dich verrückt, Clara Niklas, total verrückt«, murmelte sie dumpf in den weichen, warmen Stoff hinein, und sie fühlte, wie sich das lähmende Gift der Angst unaufhaltsam in ihrem Körper ausbreitete.
Als Clara am nächsten Tag erwachte, kam ihr die vergangene Nacht wie ein böser Traum vor. Zerschlagen schälte sie sich aus der Bettdecke und stand mühsam auf. Es war bereits halb neun, wie sie nach einem Blick auf die Uhr feststellte, sie hatte verschlafen. Doch das kümmerte sie nicht wirklich. Heute früh standen keine Termine an. Sie beschloss, sich einen Vormittag zuhause zu gönnen und erst später in die Kanzlei zu gehen. Nach einer ausgiebigen Dusche ging sie mit Elise hinaus in den kühlen Morgen. Es regnete leicht. Elise trabte leichtfüßig vor ihr her hinunter zur Isar, und Clara vergrub ihre Hände in die Jackentaschen und folgte ihr, das Gesicht dem feinen Sprühregen zugewandt, der sich wie ein feuchter Schleier auf ihre Haut legte. Auf dem Rückweg ging sie beim Bäcker vorbei und kaufte sich zwei Brezen und für Elise zwei Croissants. Als sie später mit Elise zusammen auf der Couch saß, Kaffee trank und sie beide genüsslich ihr Frühstück verspeisten, begann Clara sich langsam wohler zu fühlen. Sie schaltete den Fernseher ein und zappte sich durch mehrere Frühstückssendungen mit langweiligen Moderatoren, die über langweilige Themen redeten, und blieb eine Weile bei einer uralten Folge von »Unsere kleine Farm« hängen, in der Laura Ingalls noch Zöpfe und niedlich vorstehende Zähne hatte und ihre Schwester Mary noch nicht blind war. Es tat ihr gut, dieser Vorzeigefamilie des amerikanischen Traums eine Weile bei ihren Heile-Welt-Problemen über die Schulter zu schauen, und sie dachte daran, wie sehr sie diese Filme früher, als Kind geliebt hatte: »Unsere kleine Farm«, »die Waltons« und »Bonanza«. Dieses gute Gefühl, das sie dabei immer verspürt hatte, dass die Welt im Grunde in Ordnung sei und alles seinen Platz hatte, war längst einer ernüchterten Sichtweise gewichen, doch beim Anblick des windschiefen Holzhauses mitten in der Prärie und Michael Landon in Hosenträgern und weitkrempigem Hut wünschte sie sich dieses Gefühl zurück. Vielleicht sollte ich mal wieder Urlaub machen, dachte sie, und nahm noch einen Schluck Kaffee. Elises großer Kopf ruhte schwer auf Claras Oberschenkeln. Clara kraulte sie hinter den Ohren und lächelte über das wohlige Grunzen des Hundes. Vielleicht ein paar Tage Wellness in irgend so einem schicken Hotel mit Heubädern und Massage und einem Masseur mit kräftigen, gefühlvollen Fingern … Clara lachte bei der Vorstellung, so abwegig kam sie ihr vor. Wahrscheinlich würde sie ähnliche Töne von sich geben wie Elise gerade eben, jedoch eher aus Unwillen oder Langeweile denn aus wohliger Verzückung. Aber nach Südtirol vielleicht, oder irgendwo ans Meer, nach Venedig? Jedenfalls musste sie sich von dem Fall Malafonte zurückziehen. Von der nicht ganz unbedeutenden Tatsache, dass Malafonte ihr ohnehin das Mandat entzogen hatte, einmal abgesehen, tat ihr dieser Fall ganz und gar nicht gut. Sie schaltete den Fernseher ab und rollte sich auf dem Sofa zusammen. Elise rutschte begeistert ein paar Zentimeter näher, und Clara legte lächelnd den Arm um ihren Kopf. Dann schloss sie die Augen.
Das aufdringliche Klingeln des Telefons riss sie aus ihrem Vormittagsschläfchen. Mit einem Ruck war Clara wach und wusste im ersten Moment gar nicht, wo sie war. »Verdammt!«, fluchte sie gereizt und stand auf. »Kann man nicht mal ein bisschen seine Ruhe haben?« Sie lief zum Telefon im Flur und knurrte ein ungehaltenes »Ja?«, in den Hörer. »Oh, Entschuldigung«, Lindas Stimme klang gebührend eingeschüchtert. »Ich wollte Sie nicht stören, aber Willi, ich meine, Herr Allewelt sagte, ich sollte …«
»Was?«, seufzte Clara. »Was ist so dringend, dass es nicht bis heute Nachmittag warten kann?«
»Sie haben einen Anruf bekommen heute Morgen …« Linda unterbrach sich hastig, als könnte sie Claras Ungeduld wie elektrische Impulse durch den Hörer Funken sprühen sehen.
»Es war die Justizvollzugsanstalt. In der Sache Malafonte. Der Beamte hat um Rückruf gebeten«, vermeldete
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