Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
Vom Netzwerk:
Also, die Olle bleibt hier?
    Die Frau kommt mit.
    Na denn, auf zum Endsieg!
    Er schrägt die Krücken weit vor, schnellt ab, schrägt die Krücken noch weiter vor, schnellt noch kräftiger ab und aus dem Anlauf heraus: kompletter Überschlag! Punktgenau setzt er mit dem linken Fuß wieder auf. Einer der Alten winkt mit einer Messlatte, zwei schlagen die Schaufelstiele gegeneinander: Beifallsgeklapper.
    Der Kriegsinvalide, nach einer Kehrtwende. »Macht sich für ne Mark achtzig, wie?! Im Lazarett gelernt!« Sie haben regelrechte Wettkämpfchen veranstaltet – nicht mit Wissen der Lazarettleitung, versteht sich. Bei schlechtem Wetter haben sie im Flur trainiert. Da fiel schon mal einer Schwester die Bettpfanne aus der Hand! Er war übrigens Sieger, hausintern.
    Und wieder, mit kurzem Anlauf: kompletter Überschlag, das eine Bein senkrecht in der Luft, schon setzt es wieder auf.

    Damit die Deportation auf dem Fahrrad filmisch nicht allzu monoton verläuft: Wechsel der Bewegungsweise. Ich übernehme, was ich in der letzten Kriegsphase selbst gesehen habe, nach der Rückkehr von Berlin ins Rheinland.
    Zwei Versprengte oder Überlebende eines Fahrradtrüppchens von HJ -Panzerjägern; einer, verwundet, in sich zusammengesunken, auf dem Sattel, an den Kameraden gelehnt mit der linken Schulter. Der andere Bub mit dem rechten Fuß auf dem linken Pedal, mit dem linken Fuß abschiebend.
    Diese Bewegungsweise für Hübner und Epstein. Natürlich mit Begründung: Eigentlich müsste sie laufen, aber er hat ja gesehn, mit ihren dicken Beinen reicht das nur für ein gottsjämmerliches Geschlurfe, er will aber nicht zu viel Zeit verlieren. Regelmäßig der Tretschwung. Die linke Schulter der Epstein an Hübners rechter Schulter.
    Sobald die ersten Häuser, sodann die Ruinen von Krefeld zu sehen sind, soll sie den Rest zu Fuß laufen. Und zwar mit Rucksack, verstanden?! Wär ja entschieden zu viel verlangt, wenn ich mit dem Gepäck neben dir herradel! Haben mit ein paar Kirchgängern zu rechnen – würden sich ziemlich wundern über den Anblick. Pass auf, dass dein Namensschild den Sheriffstern nicht verdeckt!
    Martinstraße … Gladbacher Straße … Hansastraße … Die einst geschlossene Bauweise nun mit Lücken; Dächer abgedeckt, Fensteröffnungen leer, Schutt. In einer sonst leeren Straße eine ältere Frau, den Gehsteig kehrend. Ist offenbar im Keller untergeschlüpft, ihr Hauseingang ist freigeräumt. Sie fegt von Hausecke zu Hausecke und keinen Zentimeter weiter, schiebt mit der Besenkante Ziegelbrocken vom Trottoir auf die Straße, staubaufwirbelnd.
    Sie schaut nicht weiter hin, als die Frau mit dem Schild, mit dem Rucksack an ihr vorbeistapft. Sobald Marga Epstein noch langsamer wird, betätigt Hübner die Radklingel. Weiter, weiter, keine Müdigkeit vortäuschen!
    In der Straßenflucht rückt eine Marschformation heran: etwa ein Dutzend Frauen in gestreiften Häftlingskleidern; verschmutzte Schürzen, gestreifte Hauben, kleine Bündel. Mal hier, mal dort geschultert: Schaufel, Spaten, Spitzhacke. Zwei ältere Männer in SA -Uniform begleiten den Trupp, Karabiner umgehängt.

Nachspiel
    Bezugnehmend auf die am 2 . Sept. 1946 erfolgte Zustellung des Belastungsbescheides gebe ich hiermit eine erste Stellungnahme ab, vorbehaltlich der Konsultation eines Rechtsanwalts. In Anbetracht der gravierenden Vorwürfe und Unterstellungen erfolgen meine Ausführungen in schriftlicher Form – dies, um es gleich eingangs offenzulegen, mit kollegialer Beratung. In der anberaumten Hauptverhandlung des Spruchkammerverfahrens werde ich mir begleitende Erläuterungen und weitere Erklärungen vorbehalten.
    Vor allem auf Grund von Auslassungen des geschiedenen Ehepartners Rudolf Baring wird mir (Friedhelm Reimann, geb. 3 . 7 . 1882 in Mühlheim) vorgeworfen, gemeinsam mit Werner Hübner, dem Leiter des Referates »Judentum und Kirchenfragen« der Gestapo-Außendienststelle Krefeld, einen »Akt der Willkür in letzter Minute« begangen zu haben, insofern als wir »gemeinsam« die Deportation von Marga Epstein als letzter Jüdin des Amtsbezirks durchgeführt hätten. Offenbar auf Grund einer Denunziation (mutmaßlich aus der Neersener Straße) wird der Eindruck erweckt, die Aktion wäre »einvernehmlich durchgeführt« worden. Dies aber ist keineswegs der Fall. Als Schutzpolizist hatte ich in der betreffenden Angelegenheit lediglich eine Botenrolle zu übernehmen.
    Dennoch erlaube ich mir mit Blick auf die rechtliche Würdigung meiner

Weitere Kostenlose Bücher