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Das Gesetz des Irrsinns

Das Gesetz des Irrsinns

Titel: Das Gesetz des Irrsinns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Kühn
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Grundhaltung und des aus ihr resultierenden Verhaltens einige Anmerkungen zu den Unterstellungen des selbsternannten Anklägers.
    Auf Druck von NS -Behörden und im Sog einer neuen Beziehung hatte sich Rudolf B., zweiter Ehemann von Marga, geb. Epstein, scheiden lassen und eine neue Arbeitsstelle im Großraum Berlin angetreten. Als arisch im Sinne der Rassegesetzgebung hatte er zuvor (wenn auch eher indirekt) den Schutz seiner Frau übernommen, entsprechend der rechtsgültigen Regelung, nach der ein Haushalt mit arischem Haushaltsvorstand und jüdischer Ehefrau insgesamt als arisch galt; dieses Privileg entfiel naturgemäß mit der Scheidung. Strenggenommen hat Baring somit seine Frau dem Zugriff der Gestapo ausgeliefert. Dass ausgerechnet
er
sich berechtigt glaubt, sich an der Erstellung des Belastungsbescheides federführend zu beteiligen, lässt nur den
einen
Schluss zu: Sein Vernehmungsersuchen an die hiesige Spruchkammer soll dazu dienen, den eigenen Anteil am Tod der Marga Epstein zu relativieren, womöglich zu kaschieren.
    Zum Ablauf. Wie im damaligen Gau Köln-Aachen üblich, wurde die Deportation zum Arbeitseinsatz (in Theresienstadt) etwa eine runde (eher eine halbe) Stunde vor Durchführung angekündigt. Diese Aufgabe wurde mir übertragen – ein routinemäßiger Vorgang! Dass sich mit dem vorgegebenen Ablauf der Austausch einiger Sätze verband, dürfte ebenfalls selbstverständlich gewesen sein. Das aus der Nachbarschaft beobachtete Beisammenstehen und Besprechen hatte also nichts, aber auch rein gar nichts mit »Konspiration« zu tun. Vielmehr wurde, in Anbetracht der bereits hörbar näherrückenden Front, a) die private, b) die militärische Lage zum Thema.
    Zu Punkt eins: Ich erinnerte Hübner daran, dass unter seiner Direktive bereits die Eltern der Epstein nach Theresienstadt deportiert worden waren – der Vater war zu jenem Zeitpunkt um die neunzig und überdies schwer gehbehindert. Einerseits war von einem »Alterstransport« die Rede, andererseits von einem Transport in ein »Arbeitslager«. Letzterer Erklärung konnte die Epstein in Anbetracht des hohen Alters und der Hinfälligkeit ihrer Eltern keinen rechten Glauben schenken. Schließlich waren in der Zuständigkeit wie unter der organisatorischen Leitung von KOS Hübner in mittlerweile vier Deportationswellen fast alle Juden aus Krefeld nach Theresienstadt verschubt worden, ohne dass jemals eine Rückmeldung vom Zielort erfolgt war. So hatte sie das auch mir gegenüber beklagt: Kein Brief, nicht mal ein Postkärtchen mit Vordruck.
    Zum zweiten Punkt. Ich äußerte Hübner gegenüber meine Verwunderung, ja meine Befremdung angesichts der Tatsache, dass diese Einzeldeportation noch vor dem fast unmittelbar bevorstehenden Einmarsch amerikanischer Truppen durchgeführt werden sollte. Abgesehen davon zeichnete sich zu jenem Zeitpunkt bereits ab, dass die Epstein den Bestimmungsort Theresienstadt aller Voraussicht nach gar nicht mehr erreichen würde, da Truppen der Roten Armee bereits Sommer 1944 die Grenze zum Protektorat Böhmen und Mähren überschritten hatten. […]

    Ungeachtet der Hinzuziehung eines Anwalts gebe ich (Werner Hübner, geb. 23 . März 1879 in Trier) hiermit eine Erklärung ab zum Meldebogen sowie zum Belastungsbescheid, zugestellt am 4 . September 1946 . […]
    Zur Sache. Dass bei der von mir weisungsgemäß (!) durchgeführten Verhaftung der Epstein ein zeitlicher Vorlauf von rund zwei Stunden gewährt wurde, entsprach mitnichten dem damals üblichen Prozedere. Als zweckmäßig für die Durchführung erwiesen sich vielmehr Überraschungsaktionen mit der Aufforderung, binnen kürzester Frist abmarschbereit zu sein. Wenn ich an jenem Samstag, dem 16 . September 1944 , der lokalen Schutzpolizei die telefonische Anweisung erteilte, am folgenden Tag zwei Stunden vor meiner Ankunft die Deportation anzukündigen, so hatte das einen ganz bestimmten, in der militärisch prekären Situation jener Tage durchaus plausiblen Grund: Der einzigen noch in Anrath verbliebenen Jüdin sollte die Gelegenheit verschafft werden, rechtzeitig die Flucht zu ergreifen.
    Auch wenn es der Epstein als Jüdin nicht gestattet war, bei Fliegeralarm den LS -Raum im Hause aufzusuchen, so hatte auch sie in Erwartung drohender Bombenschäden das Allernötigste in einem Koffer verpackt. Die Epstein hätte demnach ihr Fluchtgepäck ergreifen, das Haus durch den Garteneingang verlassen und sich durch die angrenzenden Gärten (bei vielfach längst schon

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