Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
Territorium zurückzukehren, wenn sie es erst einmal verlassen hatten. Doch Suvaïdar, die die Wahrheit über das Virus von Gaia kannte, konnte sich den Grund dafür vorstellen: Sprach sich erst einmal herum, dass eine Gruppe von Leuten, die mehrere Wochen auf der anderen Seite des Flusses gelebt hatten, ohne krank geworden zu sein, die Erlaubnis erhalten hatte, nach Schreiberstadt zurückzugehen, würden womöglich irgendwelche verkorksten Individuen nach Gaia kommen, die Lust auf ein Abenteuer verspürten.
»Warum möchtest du sie nun treffen? Was haben wir mit den Sitabeh zu schaffen?«, fragte Oda.
»Als du am Damm gearbeitet hast, habe ich ein paarmal mit dem Botschafter gesprochen. Ich glaube, es könnte nützlich sein, den neuesten Stand der Dinge zu erfahren.«
»Du hast mir gar nicht gesagt, dass du dort warst!«
»Du hast mich nicht gefragt«, antwortete sie unaufrichtig.
»Das ist keine gute Idee. Man wird dir mit Misstrauen begegnen, wenn du ständig die Fremden besuchst. Weiß die Saz Adaï davon? Nein, nicht wahr? Wie wird sie reagieren, wenn jemand ihr davon erzählt?«
Das war ganz und gar keine erfreuliche Aussicht. Odavaïdar war sehr streng, was Bestrafungen anging; andererseits schreckte die Etikette, mit der sie unerbittlich regierte, die meisten Mitglieder des Clans davon ab, um ein Gespräch mit ihr oder anderen Repräsentanten nachzusuchen.
Überflüssig, mit Oda weiter darüber zu sprechen. Doch es gab ein Argument, auf das er empfindlich reagieren könnte. Um ihn zum Schweigen zu bringen, gelobte sie ihm:
»Das Sh’ro-enlei gebietet uns, für Ta-Shima, für die Asix und für den Clan unsere Pflicht zu tun. Es schreibt nicht vor, dass wir die Meinung irgendwelcher alten Nörgler berücksichtigen müssen.«
Sie hielt es nicht für sinnvoll, ihm zu sagen, dass sie den Kontakt zur Botschaft auf Weisung von Tsune Sadaï aufrechterhielt. Wenn die Dame gewollt hätte, dass die gesamte Bevölkerung darüber informiert wurde, was man im Rat besprach, hätte sie es selbst getan.
Sie überquerten am Morgen die Brücke und gingen durch das Viertel der Asix. Die schmucklosen Hütten waren bereits wieder aufgebaut und die festen Häuser instand gesetzt worden.
Es war nicht schwer gewesen, die Fremden, die sich während der Trockenzeit in den Hütten eingenistet hatten, zum Ausziehen zu bewegen. Es hatte schon gereicht, ein paar fleischfressendeSaurier – klein, aber aggressiv – durch ein Fenster in die Hütte zu lassen. Zuvor hatten sie die gefangenen Tiere vorsichtshalber ein paar Tage hungern lassen, um ganz sicherzugehen, dass sie alles angreifen würden, was ihnen über den Weg lief. Die Idee hatte mehr Erfolg als erwartet, und die Asix, die gern eine spöttische, herablassende Art an den Tag legten, wenn sie von ihren Arbeitgebern sprachen, erzählten, dass die Hausbesetzer die Armee zur Hilfe holen mussten, um die Tiere wieder loszuwerden. Ein Ta-Shimoda hätte dieses Problem mit einem einzigen Hieb seiner kurzen Klinge gelöst.
In der Botschaft schienen alle ziemlich mitgenommen zu sein, insbesondere Kapitän Aber, den sie nur ganz kurz sahen. Er war sehr blass, und das lag nicht an dem weißen Teint, der auf Neudachren gerade in Mode war. Seine Haut war gelblich und sah krank aus, und er hatte stark abgenommen. Sie trafen im Halbdunkel der Eingangshalle auf ihn, und Suvaïdar schärfte ihren Blick, weil sie nicht recht glauben konnte, was sie sah. Ja, das Weiß in seinen Augen zeigte eine merkwürdige Farbe und wirkte im Vergleich zu seiner klaren Iris schmutzig und verschwommen.
»Ich glaube, ich weiß, was er geschluckt hat«, flüsterte Suvaïdar. »Wie hat er es sich hier in Niasau beschaffen können?«
»Als ich vorgeschlagen habe, ihm eine Tasse Cormarousaft zu servieren, hast du mir gesagt, es wäre besser, ein Mittel zu suchen, das ihn unter Kontrolle hielte«, antwortete Oda. »Ich habe die nötigen Maßnahmen getroffen, O Hedaï.«
»Du liebe Zeit! Du musst nicht alles für bare Münze nehmen, was ich sage!«
»Nein?« Oda zeigte sich überrascht.
Die Ankunft Rassers unterbrach ihr Gespräch, doch Suvaïdar nahm sich vor, es wieder aufzunehmen, sobald sie Zeit gefunden hatte, sich eine geeignete Antwort zu überlegen. Doch im Grunde musste sie sich eingestehen, dass sie ihrem Bruder nichts vorwerfen konnte. Er hatte in der Tat ein Problem auf brillante Art und Weise gelöst. Kapitän Aber war kaltgestellt worden, und niemand auf Neudachren konnte irgendjemanden
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