Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
dafür anklagen.
»Ich bin glücklich, Sie zu sehen!«
Der Botschafter streckte die Hand aus und kam mit großen Schritten auf sie zu. Oda zögerte einen Moment; dann ergriff er Rassers Hand, weil er sich daran erinnerte, dass man sich in der Außenwelt auf diese Weise begrüßte. Wenn er sie so enthusiastisch empfing, konnte das in Odas Augen nur bedeuten, dass er sich auf Ta-Shima zu Tode langweilte.
»Wie war der Sommer, Exzellenz?«, fragte Suvaïdar. »Haben die Stürme die Botschaft arg in Mitleidenschaft gezogen?«
»Die Hälfte vom Dach wurde weggerissen, und alles, was sich in den Zimmern der obersten Etage auf dieser Seite des Hauses befunden hat, muss im Meer oder auf der anderen Seite des Planeten gelandet sein. Doch insgesamt haben wir die Angst vor den Stürmen verloren. Soener hat mir erzählt, dass die Orkane dieses Jahr nicht allzu heftig waren. Was machen Sie eigentlich, um jedes Jahr Ihre Möbel und Utensilien zu retten?«
»Wir besitzen nur wenige Dinge, die absolut unerlässlich sind, und die bringen wir für ein paar Tage in die Keller. Wir benötigen praktisch nur Matten, die sich zusammenrollen lassen, und Kissen. Dann reichen zwei kräftige Asix, um alles zu verstauen. Für die Tische und Töpfe benötigen wir schon etwas mehr Zeit, und vor allem für die Bienen und das Geflügel. Das Federvieh ist nicht immer damit einverstanden, im Keller eingeschlossen zu werden.«
»Aber Tornados von dieser Kraft zerstören doch sicher auch Wohnhäuser und Anbauflächen? Ich habe mindestens eine Windhose beobachtet, die sich direkt auf die Stadt jenseits der Brücke zu bewegt hat.«
»Wir richten jedes Mal alles wieder her. Wir sind von Natur aus sehr hartnäckig. Und die Schäden waren dieses Jahr nicht schlimmer als sonst. Gab es in Schreiberstadt Opfer?«
»Ungefähr ein Dutzend Menschen sind verschwunden, vor allem Leute, die sich in den verlassenen Hütten der Asix eingerichtet hatten. Ich kann mir vorstellen, dass sie im Freien von dem Unwetter überrascht wurden und dass der Wind sie mitgerissen hat ...«
Seine Stimme hatte einen fragenden Unterton, und Suvaïdar stimmte ihm rasch zu.
»Haben Sie sehr unter dieser schrecklichen Hitze gelitten?«, wollte Seine Exzellenz dann wissen.
»Wir haben uns an die hohen Temperaturen gewöhnt«, antwortete Suvaïdar. »Was die Trockenheit betrifft, haben wir gelernt, uns mit den nötigen Essensvorräten auszustatten. Trotzdem muss ich zugeben, dass am Ende der Trockenzeit die Gerichte, die auf den Tisch kommen, nicht gerade zu den großartigen Errungenschaften der kulinarischen Kunst gehören. Für uns ist der Sommer fast so etwas wie Ferienzeit. Es gibt kaum Arbeiten im Freien zu erledigen, und es sind genug Menschen da, um sich die Aufgaben zu teilen, die anfallen. Und was mich betrifft – ich bin einfach nur zufrieden, vier Monate ohne Feldarbeit und Putzen zubringen zu können. Besonders das Putzen verabscheue ich.«
»Feldarbeit für eine Dame, wie Sie es sind? Ist das nicht Aufgabe der Asix?«
»Wir alle sind dienstverpflichtet, wenn es Dringendes zu tun gibt. Dazu gehört, die Ernte vor den Stürmen in Sicherheit zu bringen oder bei der Aussaat zu Beginn der Regenzeit mit Hand anzulegen. Das restliche Jahr über übe ich hauptsächlich den Beruf der Ärztin aus. Es wäre nicht sehr klug, mir anstrengende Arbeiten anzuvertrauen, die jemand, der kräftiger ist als ich, in viel kürzerer Zeit schaffen könnte. Außerdem könnte ich mein wichtigstes Arbeitsgerät verletzen – meine Hände. Aber auch ich habe ein paar Pflichten im Haus zu erledigen. Genau wie mein Bruder muss ich putzen, im Garten arbeiten, Wäsche waschen oder in der Küche helfen.«
»Sie sind Ärztin? Also kann man daraus schließen, dass Sie auch eine Jestak sind, oder?«
Rasser war stolz, ein Wort der hiesigen Sprache zu kennen, doch Suvaïdar korrigierte ihn:
»Eigentlich ist Jestak der Eigenname eines Clans, der die Hospitäler leitet.«
»Und was genau machen Sie? Sind Sie Kinderärztin?«
»Nein, Chirurgin.«
»Die Eingriffe laufen bei Ihnen noch nicht automatisiert ab? Ich finde, diese blutige Arbeit passt nicht zu einer Dame.«
»Die Eingriffe sind teilweise automatisiert, aber einige besonders knifflige Operationen können nicht ausschließlich von Robotern durchgeführt werden. Das gilt übrigens nicht nur für Ta-Shima. Ich habe mehrere Jahre auf Wahie praktiziert. Obwohl sie dort eine Vielzahl von Geräten benutzen, die wir hier nicht haben, und über
Weitere Kostenlose Bücher