Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
die besten chirurgischen Comp-Systeme verfügen, ist der ärztliche Instinkt, den einige von uns besitzen, nicht zu ersetzen. Auch ich scheine diesen Instinkt zu haben, und das Hospital auf Wahie war mit meiner Arbeit stets sehr zufrieden. Die Wahioten sind sehr pragmatische Menschen. Sie fragen nicht danach, ob ein Mann, eine Frau oder ein Roboter das Besteck oder den Laser handhabt. Für sie kommt es nur darauf an, dass die Arbeit gut gemacht wird. Man hat mir erzählt, dass bei Ihnen die Medizin ein Monopol des männlichen Geschlechts ist. Stimmt das?«
»Nein, nein, wir haben Kinderärztinnen und Frauen, die in der Geburtshilfe arbeiten. Viele sind es allerdings nicht, denn in den religiösen und traditionellen Familien zieht man es vor, dass die Ehefrauen zu Hause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Doch ich glaube nicht, dass wir Chirurginnen haben. Frauen sind viel zerbrechlicher und schreckhafter. Sie würden in einer kritischen Situation womöglich den Kopf verlieren.«
»Das sind Vorurteile«, sagte Suvaïdar ein wenig spröder, als sie eigentlich wollte. Deshalb fügte sie rasch hinzu: »Aber die gibt es auch bei uns. Hier ist jeder davon überzeugt, dass Männer nicht sorgfältig genug sind und den Anblick von Blut sehr viel schlechter ertragen können. Deshalb musste ich darum kämpfen, einen männlichen Assistenten an meine Seite gestellt zu bekommen. Auf Ta-Shima gibt es keinen Beruf, der auf ein bestimmtes Geschlecht festgelegt wäre, bis auf zwei Ausnahmen: die Medizin und die Regierung. Unter den einhundertzwölf Personen, aus denen sich der Rat zusammensetzt, sind nur drei Männer.«
»Es erscheint mir unnormal, dass die Regierung nur aus Frauen ... äh, ich will damit sagen, ich könnte es nicht so leicht akzeptieren, Befehle von einer Frau entgegenzunehmen.«
Er warf Oda einen fragenden Blick zu, aber der zuckte nur mit den Schultern.
»Warum nicht? Die Pflegemutter, bei der ich aufwuchs, war eine Frau, und auch unser Clan wird von einer Frau geleitet. Ich habe mich daran gewöhnt. Übrigens gäbe es sehr viel mehr Duelle, würde der Rat sich hauptsächlich aus Männern zusammensetzen.«
»Ich verstehe. Offensichtlich kämpfen die Frauen nicht miteinander.«
»Nicht so häufig, aber es kommt vor.« Suvaïdar schob die Tunika über der Schulter zur Seite, um die Hautabschürfung zu zeigen, die der Holzsäbel eines jungen Huang in Brusthöhe verursacht hatte. Obwohl es sich um einen oberflächlichen Kratzer handelte, brannte er, weil die Wunde noch nicht vollständig vernarbt war. »Es ist das Testosteron, das die Männer aggressiv macht. Die Frauen sind ruhiger und sachlicher.«
Rasser zuckte zusammen, als er diese Absurdität vernahm: Es war offenkundig, dass Frauen nicht so ruhig und sachlich waren wie Männer, gerade wegen ihrer Hormone. Das wusste doch jeder.
Er schaute Oda an, gespannt auf dessen Reaktion. Die Worte seiner Schwester waren nicht nur dumm, sie waren eine handfeste Kampfansage. Würde er sie zum Duell fordern? Würden sie sich vor seinen Augen duellieren? Doch der junge Shiro verzog keine Miene, muckte nicht einmal auf.
»Ich bin nun seit einem Jahr hier und kann nicht sagen, dass ich Ihre Welt jetzt besser verstehe als am ersten Tag«, seufzte der Botschafter. »Wissen Sie, dass ich noch nie im Haus eines Ta-Shimoda gewesen bin? Im Grunde kenne ich keinen einzigen, abgesehen von Ihnen beiden. Ich habe immer noch nicht die Erlaubnis bekommen, dem Rest des Planeten einen Besuch abzustatten, und hier leben nur einige Hausangestellte, abgesehen von denen, die in dem grauen Steinhaus zwei Straßen weiter wohnen. Aber die scheinen – mit Ausnahme einiger Geschäftsleute – keine Lust zu haben, mit uns zusammenzukommen.«
»Die Asix sind keine Hausangestellten«, murmelte Oda in der Gorin-Sprache.
»Ach, Sie würden sich gern eines der Häuser von innen ansehen?«, heuchelte Suvaïdar, erleichtert, dass Rasser sie nichtein weiteres Mal damit beauftragt hatte, seine Bitte nach einem »Touristenvisum« weiterzugeben, wie er es nannte. Eine Besichtigung sollte aber möglich sein.
»Ich würde mich geehrt fühlen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass die Shiro, die dort wohnen ...« Er wies mit dem Kopf in die Richtung, in der sich das Haus der Burs befand.
»Das?«, sagte Suvaïdar. »Nun, das kann man nicht wirklich als Haus bezeichnen, es ist eher ein Handelssitz. Aber Sie können sich das Haus eines Asix ansehen. Auf dieser Seite der Brücke gibt es –
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