Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
in vieler Hinsicht mehr und mehr als nützlich erwies, um eine ellenlange Wunschliste zu schreiben. Diese Liste hatten sie dann nach Neudachren übermittelt. In einem Begleitschreiben hatten sie erklärt, dass es völlig indiskutabel sei, dass eine aristokratische Familie, die zudem ganz offiziell die föderale Regierung repräsentiere, dazu verdammt sei, wie eine Horde von Wilden zu leben.
Die Nachricht war vor Monaten verschickt worden, und noch immer hatten sie keine Antwort erhalten. Aber vielleicht war irgendjemand in Neudachren ja gerade damit beschäftigt, eine Lieferung mit den allernötigsten Dingen zusammenzustellen: neue Roboter, ein programmierter Autochef, der statt mit der hygienischen Hefe, die sie gewohnt waren, auch mit dem schmutzigen und mit Erde behafteten Gemüse Ta-Shimas funktionierte, Freudenpulver und als Höhepunkt Parfums, die es ihr ermöglichten, ihren Skulpturen eine angenehme Geruchsnote zu verleihen ...
Frau Rassers Blick fiel auf ein düsteres, graues Panorama, und sie stieß vor Heimweh einen tiefen Seufzer aus. Ihr Seufzen verwandelte sich in ein verärgertes Knurren, als sie zwei Shiro sah, die sich dem Botschaftstor näherten, eingemummelt in ihre lächerlichen Mäntel, die nur die Augen freiließen.
Wahrscheinlich gibt es schon wieder Ärger, ging es ihr durch den Kopf. Sie beschloss, die beiden zu ignorieren, ergriff den kleinsten und feinsten Laser und programmierte ihn für eine Pastellfarbe, einen Lachston mit einem Hauch Rosa und Purpur. Der Lichtfleck zitterte auf halber Höhe durch das Zimmer, geführt von geschickten Händen, die mit dem Gerät extrem zarte und feine Striche setzten. Langsam entstand das Bild einer erlesenen Rose aus Oderissan, deren Blütenblätter sich im Wind bewegten.
*
»Oda«, sagte Suvaïdar, »begleitest du mich nach Niasau?«
»Willst du sehen, wie die Fremden während der Trockenzeit zurechtgekommen sind?«
»Nein, das nicht, ich kann es mir auch so vorstellen«, erwiderte sie und vermied es, seine Frage zu beantworten.
Sie wusste ganz genau, dass es Probleme mit den Lebensmitteln gegeben hatte. Man hatte einige Außenweltler in Gaia abgefangen, die der Hunger getrieben hatte, Essbares zu stehlen. Ihr Hunger musste so groß gewesen sein, dass ihnen das Risiko, sich anzustecken, egal war. Auch die Gefahr, entdeckt zu werden und die Brücke nach Niasau nicht wieder passieren zu dürfen, hatte sie nicht zurückgehalten. Obwohl sie versucht hatten, sich zu tarnen, indem sie sich in Mäntel hüllten, hatte man sie auf Anhieb erkannt, und Tsune hatte sie aus Neugier zu sich kommen lassen, um sie zu befragen. Als sie begriff, dass es sich nicht um eine allgemeine Versorgungslücke handelte, sondern lediglich um Einzelpersonen, die nicht wussten, wovon sie sich ernähren sollten, wollte sie wissen, ob ihr Clan sie hinausgeworfen habe und wenn ja, aus welchem Grund. Sie hörte sich schweigend Suvaïdars Erklärungen an.
Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass das Leben in den barbarischen Welten sehr hart sein müsse. Sie erteilte den Befehl, den Gefangenen etwas zu essen zu geben und sie nach Nova Estia zu bringen, eine winzige Stadt im Westen der Hochebene. Dort waren sie weit genug entfernt, um sich unentdeckt der Fremdenkolonie anschließen zu können.
Man hatte ihnen vorgeschlagen, in den Fabriken oder Minen zu arbeiten und als Gegenleistung Nahrungsmittel zu erhalten, und fast alle hatten diesen Vorschlag angenommen. Die Störrischen wurden der Stadt verwiesen und sich selbst überlassen. Mit ein bisschen Glück würden sie die giftigen Skorophone und die anderen Vertreter der heimischen Fauna, die sich von Zeit zu Zeit bis in die Hochebene ausbreiteten, überleben – zumindest bis zur Trockenzeit.
Doch einer von ihnen hatte protestiert und verkündet, es sei inhuman, sie wegen eines kleinen Diebstahls zu Schwerstarbeit zu verurteilen. David Ricardo hatte daraufhin Suvaïdar gebeten, ihnen zu erklären, dass es keine Schwerstarbeit sei, sondern das tägliche Brot. Da sie ohne Erlaubnis über die Brücke gegangen seien, hätten sie sich der Rechtsprechung der Föderation entzogen und müssten sich nun damit abfinden, den Gesetzen unterworfen zu sein, die das Leben der Ta-Shimoda regelten. Außerdem müssten sie wissen, dass es keinen Weg zurück gäbe.
Die Gründe für das Verbot, die Brücke zu passieren, hatte er jedoch nicht dargelegt. Womöglich wusste er selbst nicht, warum es Fremden untersagt war, in das ihnen zugewiesene
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