Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
kräftig. Trotz der Verantwortung, einen notorisch anarchischen und auf Hunderten von Fischerbooten, fünf Hauptinseln und zwanzig Inselchen verstreuten Clan führen zu müssen, hatte sie all die Jahre an der »Akademie des Korps für Harmonie und Geist« trainiert, das jemand einmal aus Spaß »Akademie des Ungleichgewichts« genannt hatte. Die Fechtsäle befanden sich an Bord der größten Flottillenboote; Fior hatte den Befehl erteilt, dass die Trainingsstunden jederzeit einzuhalten seien, selbst wenn das Schiff fuhr und schaukelnd schwierige Stellen passierte oder Mühe hatte, sich über Wasser zu halten. Es war alles andere als leicht, auf diesen Schiffen zu fechten. Man kam im wahrsten Sinne des Wortes ins Rutschen und taumelte hin und her, was auch für den Kontrahenten galt. Logischerweise trafen die Säbel nie dort, wo sie hatten treffen sollen.
Fior hatte dem Scherz nichts abgewinnen können und den Unvorsichtigen zu einem Training in den schwimmenden Fechtsaal eingeladen. Der Anker wurde gelichtet, und das Boot fuhr ab. Der Unglückliche musste nun die ganze Trockenzeit hindurch an Bord bleiben und mit Fior und ihrem Berater Sergi trainieren, der zwar so stark wie ein Asix war, aber vom Charakter her sehr unangenehm.
Fior benannte die Mitglieder des kleinen Rates. Zu ihremLeidwesen gehörte Suvaïdar nicht dazu. Doch ihr Bedauern war nur von kurzer Dauer, denn die neue Sadaï forderte sie auf, sich bei Morgengrauen des nächsten Tages zu einem Gespräch bei ihr einzufinden. Bevor sie ins Lebenshaus ging – das Morgenlicht schimmerte gerade erst durch die Wolkenschicht –, stieg sie einmal mehr auf der schiefergrauen Kieseltreppe, auf der in Hunderten von Jahren schon Tausende von Füßen gegangen waren, zu dem grauen Haus auf der Anhöhe hinauf, die man ein wenig unpassend »Hügel« nannte. Fior Gantois war damit beschäftigt, sich für den Rest ihres Lebens hier einzurichten. Als Suvaïdar das Haus erreichte, fand sie die neue Autokratin von Ta-Shima über ein Schulheft gebeugt vor.
»Da bist du ja endlich«, sagte Fior. »Das wurde auch Zeit. Ich habe schon auf dich gewartet.«
»Ja, meine Dame. Ich bedaure.«
Fior wedelte mit der Hand – ein Zeichen, dass sie keine weiteren Entschuldigungen hören wollte. Sie kam sofort zur Sache.
»Ich möchte gern wissen, wie es um die Fremden steht. Meine Vorgängerin hat in die Annalen geschrieben: ›Es wurden geeignete Maßnahmen gegen die Barbaren eingeleitet, die unsere Asix getötet haben.‹ Das ist alles, eine weitere Erklärung gibt es nicht. Weißt du etwas darüber? Ich möchte auch Auskünfte über das Fieber von Gaia. Die erste Epidemie ist zu einem Zeitpunkt ausgebrochen, der zu gut passte, als dass es ein Zufall hätte gewesen sein können. Das gilt auch für die nächste Epidemie. Jedes Mal gab es einen neuen viralen Stamm, immer dann, wenn die Außenweltler uns angegriffen haben.«
Suvaïdar erzählte, dass zwei der Soldaten, die ihre Waffen gegen die Asix eingesetzt hatten, an der Krankheit gestorben seien. Die Mikroben seien in eine Weinflasche eingeführt worden, die sich die Soldaten geteilt hatten. Ein anderer war vom Kliff »gestürzt«, nachdem er mit seinen Kollegen ein Festessen genossen hatte. Suvaïdar zögerte kurz; dann berichtete sie auch noch, was Oda angestellt hatte. Sie hoffte inständig, dass die Sadaï nicht beschließen würde, sie beide zum Shiro-Privileg zu verurteilen. Doch Fior sagte nur nachdenklich:
»Es ist merkwürdig, dass Tsune Adaï zugestimmt hat. Ich kann das kaum glauben.«
Suvaïdar stieß einen erleichterten Seufzer aus. Das Leben konnte mit einer Sadaï, die das Sh’ro-lei nicht allzu streng befolgte, sehr viel angenehmer sein. Minutiös erzählte sie ihr, worüber sie mit Rasser gesprochen hatte. Dann fügte sie hinzu: »Und was das Fieber von Gaia betrifft, wäre es sinnvoller, eine Jestak zu befragen.«
»Ich frage aber dich. Du bist auch Ärztin, und irgendetwas stimmt an der Sache nicht. Nachdem die erste Epidemie ausgebrochen war, schrieb Haridar, dass es sich nach Ansicht des Lebenshauses um eine Krankheit handelt, die unsere Vorfahren im dritten Jahr der Besiedlung dezimiert hatte. Mittlerweile haben wir die nötigen Antikörper entwickelt und uns an die Krankheit gewöhnt. In den älteren Annalen finden sich aber leider keine weiteren Hinweise. Kannst du mir erklären, wie wir es geschafft haben, uns vollständig an einen pathogenen Keim zu gewöhnen, der so häufig mutiert, dass die
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