Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
wenn er etwa eine Herausforderung ablehnt, und erntet die Verachtung der anderen.«
Er warf Oda einen fragenden Blick zu. Der nickte nach Art der Außenweltler, indem er den Kopf von oben nach unten bewegte.
Der Professor fuhr fort: »Aber wenn es weder Gerichte noch Gefängnisse gibt, wie gehen Sie dann mit Verbrechern um?«
»Wir können es uns nicht erlauben, wie auf Ihrem Planeten, Menschen zu bewachen, die in der Zelle sitzen und gar nichts tun. Bei einem leichteren Vergehen werden die Erwachsenen damit bestraft, dass sie in den Fabriken arbeiten müssen. Ist das Vergehen schwerwiegender, werden sie zur Zwangsarbeit in den Minen verurteilt. Allerdings muss man sagen – ohne Sie kränken zu wollen, Professor –, dass diejenigen, die in der Fabrik arbeiten müssen, kaum ein anderes Leben führen als der Großteil der städtischen Bevölkerung in Ihren Welten. Wer allerdings ein Blutverbrechen oder eine schwere Gewalttat verübt, etwa gegen einen Minderjährigen oder einen Asix, wird erst aus dem Clan ausgeschlossen und dann in die Minen geschickt. Im Allgemeinen überlebt er das nicht.«
»Was meinen Sie mit Clan?«, fragte Frau Rasser. Ihr Ehemann, schon ganz rot im Gesicht, blickte betreten zum Himmel.
»Das ist eine Familie, allerdings eine sehr große. Zu meinem Clan gehören mehr als tausend Shiro und ungefähr zehnmal so viele Asix. Aber sie wohnen nicht alle in einem Haus.«
Rasser kicherte, weil er glaubte, Suvaïdar habe es scherzhaft gemeint, um die Unwissenheit seiner Frau herunterzuspielen. Die fragte mit leiser Stimme weiter:
»Sind die Asix, die Teil Ihrer Familie sind, Ihre Diener?«
»Nein«, entgegnete Oda. »Niemand ist bei uns der Diener eines anderen. Sie gehören zur Familie, wie die O Hedaï gesagt hat.«
»Wollen Sie damit sagen, dass in ein und derselben Familie ...«, stammelte die junge Frau perplex.
Ihr Mann unterbrach sie. »Sie haben gerade von den Erwachsenen gesprochen. Wie gehen Sie mit den Minderjährigen um?«
»Die gibt es bei uns nicht. Wir erlangen die Volljährigkeit in einem Alter, das in etwa mit vierzehn Standardjahren zu vergleichen ist. Dann sind die Heranwachsenden den Erwachsenen gleichgestellt und persönlich verantwortlich für das, was sie tun. Übrigens ist die Erziehung sehr streng, und unser Lebensstil lässt wenig Raum für jugendliche Revolten. In einem Alter, das fünf oder sechs Standardjahren entspricht, werden die Kinder einem Tutor anvertraut, der für ihre Launen nur wenig Nachsicht hat. Zwischen Schule, Erntearbeit und obligatorischem Training bleibt wenig freie Zeit, um Dummheiten zu machen, und die, die es wagen, werden hart bestraft.«
Der Professor merkte an: »Was mich betrifft, bin ich keineswegs gegen Strafen. Ich stimme den traditionellen Erziehungstheorien nicht zu, die behaupten, Strafe wäre eine Form der Erpressung. Was das betrifft, könnte man meinen, das ganze Leben wäre eine Art Erpressung. Wer nicht arbeitet, bekommt keinen Lohn, wer sich wie ein Verrückter benimmt, wird mit einem Unfall enden. Mit meinem Sohn habe ich alles Mögliche versucht, doch ohne Erfolg. Ich habe ihm verboten, das Flugmodul zu benutzen, ich habe ihm den Geldhahn zugedreht – nichts hat funktioniert. Meine Frau hatte im Übrigen auch nicht mehr Erfolg, weil sie sich immer wieder von ihm weichkochen ließ.«
»Auch ich habe Probleme mit meinem zweiten Sohn«, weihte Rasser die Anwesenden ein. »Er hat uns zum Narren gehalten – mich, seine Mutter und seine Lehrer. Seit seiner Geburt ist er aufsässig und will nichts vom Studium wissen. Ich habe es nicht geschafft, ihn für irgendetwas zu begeistern.«
»Im Allgemeinen greifen wir zur Peitsche«, teilte Oda freundlich mit. »Das hat immer funktioniert.«
Rasser und der Professor starrten ihn an.
»Sie wenden körperliche Züchtigung an? Ein Kind mit der Peitsche zu schlagen, ist kriminell. Außerdem führt es zu nichts. Kennen Sie persönlich einen Fall, in dem man eine solch barbarische Strafe verhängt hat?«
»Ich kenne mich «, erwiderte Oda spröde. »Ist das für Sie persönlich genug? Und ich kenne O Hedaï.«
»Was denn? Auch die Frauen ...«
Suvaïdar stellte mit Interesse fest, dass selbst der Professor entrüstet zu sein schien; dennoch hatte er allem Anschein nach nie zu verhindern versucht, dass die arme, törichte zweite Ehefrau regelmäßig von ihrem Mann bestraft wurde und Ohrfeigen bekam, die nun wahrhaftig nicht mehr als verdienstvolle erzieherische Maßnahme gelten
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