Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)
konnten.
»Natürlich, auch Frauen. Warum sollten wir anders behandelt werden?«, fragte Suvaïdar und versuchte, ihre Gereiztheit unter Verschluss zu halten. »Persönlich finde ich nichts verkehrt an körperlicher Bestrafung. Es reicht schon aus, sich ordnungsgemäß zu verhalten, um dem zu entgehen. Wir bestrafen ja nicht willkürlich. Kinder, die sich ihren Pflichten nicht entziehen und die sich verhalten, wie es sich gehört, sehen die Peitsche nicht oft.«
»Jetzt begreife ich, weshalb die Asix Sie so sehr respektieren. Auch sie haben Angst vor der Peitsche.«
»Die Asix? Was für ein Gedanke! Niemand könnte sich vorstellen, einem Asix gegenüber die Hand zu erheben, das wäre schamlos!«, rief Oda aus.
Die Fremden konnten seiner Logik nicht mehr folgen und waren völlig konsterniert.
»Aber treiben Sie mit solchen Bestrafungen die jungen Leute nicht in Verzweiflung und Wut und zetteln damit letztendlich eine Rebellion an?«
»Sicher, das kann in einigen seltenen Fällen passieren. Zum Glück aber leben sie im Allgemeinen nicht so lange, dass sie das Erwachsenenalter erreichen.«
Li Hao wollte lieber nicht fragen, was den Jungen passierte, die nicht überlebten. Er hatte jahrelang die verschwundenen Gesellschaften studiert; er hatte Horrorgeschichten über Konzentrationslager gelesen, über Menschenopfer und Übergangsriten, die so grausam waren, dass man sie mit Folter vergleichen konnte. Aber das waren Geschichten aus längst vergangenen Zeiten, die keine unmittelbaren Auswirkungen hatten. Doch zwei Menschen gegenüberzustehen, die normal wirkten, überaus zuvorkommend und augenscheinlich zivilisiert, und die dennoch kaltblütig diePeitsche schwangen und junge Leute, die fünf Jahre jünger waren als sein Sohn, in den Tod schickten, hatte auf ihn dieselbe Wirkung, als würde er sich einen Holocube-Horrorfilm ansehen. Und mit einem Mal wurde ihm gewahr, dass die Monster das Bild verlassen hätten, um sich in seinem Büro zu verstofflichen.
An der Botschaft angekommen, verabschiedeten sich die Ta-Shimoda. Elide Rasser war einen Moment mit Suvaïdar allein, und ihr rutschte die Frage heraus: »Sie haben gesagt, dass man sich hier einen Partner nimmt, wenn man Lust hat. Heißt das, Sie können auch darauf verzichten?«
»Aber natürlich.«
»Sie haben Glück«, flüsterte die junge Frau neidvoll.
Derweil raunte Rasser dem Professor zu: »Haben Sie das vorhin mitgekriegt? Die Jugendlichen hier leben im Allgemeinen nicht so lange, dass sie das Erwachsenenalter erreichen? Was soll das denn bedeuten? Was glauben Sie?«
»Ich hatte Angst, danach zu fragen«, gestand dieser ein. »Die beiden Shiro sehen völlig normal aus. Obendrein gehören sie der Aristokratie an und besitzen ein Universitätsdiplom. Es würde schon reichen, ihnen vernünftige Kleidung zu geben, und man würde sie für Bewohner einer unserer Welten halten, solange sie nicht den Mund aufmachen. Doch manchmal zittere ich vor Angst, wenn ich höre, was sie sagen und vor allem, wie sie es sagen. Die Asix stehen uns letztlich sehr viel näher, auch wenn sie wie Grobiane aussehen.«
Auf dem Rückweg stellte Oda perplex fest: »Unsere Art zu leben und unsere Traditionen gehen die Sitabeh nichts an. Du hast selbst gesehen, dass sie nicht in der Lage sind, uns zu verstehen. Ich weiß nicht, warum du Ihnen das alles erzählt hast. Ich nehme an, das geht auf deine Initiative zurück. Ich glaube kaum, dass Tsune Sadaï es gutheißen würde.«
»Ich weiß nicht, ob sie jedem Wort zugestimmt hätte«, erwiderte Suvaïdar, »aber ...«
»Zugestimmt hätte ?«, unterbrach Oda sie.
»Sie hat sich in der letzten Nacht für das Shiro-Privileg entschieden, zusammen mit David Ricardo.«
»Woher weißt du das?«
Suvaïdar verzog das Gesicht vor Bitterkeit.
»Was meinst du, wen sie gebeten haben, ihnen dabei zu assistieren?«
»Das war eine große Ehre für dich!« Oda schaute sie beeindruckt an.
»Es war vor allem eine sinnlose Vergeudung. Die brillante Intelligenz Davids hätte uns sehr nützlich sein können, und ich habe es als schrecklich empfunden, dass gerade ich in die Pflicht genommen wurde. Ich habe Medizin studiert, um Leben zu retten, nicht um Leben auszulöschen. Ich habe nur deshalb assistiert, weil er mich darum gebeten hatte und ich ihn zu sehr schätzte und achtete, um abzulehnen. Aber ich habe es gehasst.«
»Kannst du mir erklären, weshalb sie diese Entscheidung getroffen haben? Oder ist es ein Geheimnis des Rates?«
»Ich kann
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