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Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition)

Titel: Das Gesetz von Ta-Shima: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adriana Lorusso
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Flusslauf zu folgen oder sich durch den Dschungel zu schlagen und das Hügelland zu überqueren. Würde man sie am rechten Ufer absetzen, bestünde der einzige praktikable Weg darin, dem Delta-Arm ungefähr fünfzig Kilometer zu folgen, bis zu den Sümpfen von Sovesta. Dort angekommen, könnten sie die Sümpfe umrunden und die ersten sicheren Ausläufer der Hügel ersteigen   – allerdings ohne Schutz vor den Sonnenstrahlen. Wählten sie den Weg durch die Sümpfe von Sovesta, würden sie im Dickicht der Sumpf- und Moorpflanzen, deren Stängel in der Regenzeit zur Hälfte unter Wasser standen, wenigstens hin und wieder ein bisschen Schutz vor den tödlichen weißen Sonnenstrahlen finden. Dann aber wären sie den Angriffen der räuberischen Amphibien ausgesetzt, die zwar kleiner waren als die Ungeheuer des Dschungels, aber versteckt im Schlamm lauerten, sodass sie sich nähern konnten, ohne dass man sie bemerkte. Nicht zu vergessen die Gefahr der Flut, die regelmäßig das Sumpfland verwüstete, wenn mehr als ein Mond am sommerlichen Himmel zu sehen war.
    Doch schon bald stellten sie fest, dass sie im Grunde gar keine Wahl hatten: Der einzige praktikable Weg war der Uferstreifen.
    In der Schule hatten sie gelernt, dass der Wald ein verzwicktes Gewirr war. Es war bedrückend, sich vor dieser dichten Mauer aus abgestorbenen Bäumen wiederzufinden, die trotz ihres Gewichts stehen geblieben waren, gestützt von tiefer wachsenden Pflanzen und einem Netz aus dornigen Lianen, die nahezu jeden Zentimeter des Bodens bedeckten. Darunter befanden sich viele giftige Sorten. Die wohl größten Pflanzen, die bis zu hundert Meter hoch werden konnten, hatten zweifellos ihre Sommerform angenommen, die es ihnen ermöglichte, die Trockenzeit zu überstehen. Sie hatten sämtliche Blätter in Nadeln verwandelt. Am Boden war es trotzdem so feucht wie während der Regenzeit auf der Hochebene.
    »Wenn die Blätter der Daïbanpflanze essbar sind«, warf Saïda ein, »sollten wir welche einsammeln.«
    »Das lohnt sich nicht«, erwiderte Lara. »Ich habe mir die Ufer genau angesehen. Wir werden auf zwei weitere Daïbans stoßen, wenn wir ein paar Stunden marschiert sind.«
    »Und wenn sie uns an der anderen Uferböschung herausgelassen haben?«
    »Es gibt drei.«
    Sie kamen zügig voran, ohne besonders schnell zu laufen. Allerdings mussten sie ständig darauf achten, wohin sie traten. Deshalb gingen zwei von ihnen vorneweg, um das Gelände voraus zu sondieren; ein anderer lief in der Mitte, prüfte die undurchdringliche, unheimliche Vegetation auf der rechten Seite und behielt links den Fluss im Auge, um auszuspähen, ob nicht das bedrohliche Maul eines Sauriers die Wasseroberfläche zum Kräuseln brachte. Die beiden in der Nachhut hatten die wohl schwierigste Mission: Sie mussten sich ständig umdrehen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht verfolgt wurden. Damit sie nicht zu leicht von einem Fleischfresser gehört werden konnten, hatten sie vereinbart, mucksmäuschenstill zu sein, es sei denn, es drohte unmittelbare Gefahr.
    Die Jugendlichen liefen bereits mehrere Stunden, ohne etwas Alarmierendes gesehen zu haben. Nur einmal waren sie auf einen giftigen Skorpion gestoßen, der seinen Stachel unnützerweise in das feste Gewebe eines Daïbanstiefels gesteckt hatte. Sie köpften ihn im Vorübergehen. Aber auch wenn nichts zu sehen war: Die Bedrohung war stets präsent. Wilde Bestien konnten sich im Pflanzengewirr verstecken, aber auch im Schlamm des Deltas. Langsam aber sicher wurde die Stille bedrückend. Nur hin und wieder wurde sie vom gelegentlichen Flüstern der Vorhut unterbrochen, wenn diese vor einem Pilz warnte oder vor den giftigen Stacheln einer Pflanze.
    Die fünf Jugendlichen rückten stetig voran und versuchten, zwischen Wasser und Wald stets dieselbe Entfernung beizubehalten. Sie hielten nach Bäumen Ausschau, auf die sie klettern konnten, sollte Gefahr drohen. Die Bäume waren im dichten, bewegungslosen Nebel, der vom Fluss aufstieg, jedoch nur schwer auszumachen. Die ständige Bedrohung durch unmittelbar bevorstehende Gefahren war eine große Last für die Jugendlichen. Sie rechneten jeden Moment damit, dass zwei kalte, lüsterne Augen ihnen im Pflanzenlabyrinth auflauerten, an dem sie entlanggingen. Auchwenn nichts passierte, nahm das Gefühl der Bedrohung im Laufe der Stunden immer mehr zu, wurde nahezu greifbar – so greifbar, dass niemand wirklich überrascht war, als Rico, die die Nachhut bildete, plötzlich

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