Das Gesicht der Anderen
…” Sie blickte Dante bedeutungsvoll an. “Eddie Jay Nealy war doch mein leiblicher Vater, oder?”
“Man kann sich seine Eltern nicht aussuchen”, sagte Dante. “Mein Vater war auch kein Hauptgewinn. Er war halb Italiener, halb Ire und stammte aus Chicago. Nach einer kurzen Zeit bei der Armee kam er zurück und begann eine Karriere als Krimineller. Bei einem missglückten Drogendeal kriegte er eine Kugel in den Kopf. Dafür hatte ich eine tolle Mom. Als ich zwölf war, zogen wir zu ihrer großen Familie nach Texas, alles liebe Leute. Und ich bin noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten – ich habe nichts von meinem Vater geerbt. Und du …”, er packte Leslie Anne bei den Schultern, “… hast auch nichts von deinem Vater geerbt.”
Tränen strömten über Leslie Annes Wangen. “Oh Gott! Dann stimmt es also. Er ist mein Vater!”
Tessa rannte zu ihrer Tochter, doch noch bevor sie bei ihr war, nahm Dante Leslie Anne in den Arm und tröstete sie. Mit seiner großen, starken Hand streichelte er ihren Rücken. Der Diamant in seinem Onyxring funkelte, als das Licht der Morgensonne darauffiel.
Während Dante Leslie Anne im Arm hatte und sie sich ausweinen ließ, tauschte er einen Blick mit Tessa. Sie wusste, dass Dante nicht der Typ war, eine Unschuldige für die Verbrechen eines anderen büßen zu lassen – also auch nicht ihre Tochter. Selbst wenn ihr “Erzeuger” seine Verlobte ermordet hatte.
Dante war ein guter Mensch, ganz ohne Zweifel. Er würde sie nicht im Stich lassen, wenn sie ihn brauchten. Sie würden auf ihn zählen können, das wusste sie. Er würde ihnen helfen herauszufinden, wer die Zeitungsartikel an Leslie Anne geschickt hatte. Wer hatte nur einen Grund, ihre Tochter derart zu verletzen? Welchen Zweck verfolgte die Person mit der Enthüllung ihres lange gehegten Geheimnisses?
8. KAPITEL
“W as meinst du damit, Moran soll noch bleiben?”, entrüstete sich G. W. Vor Wut bekam er einen roten Kopf.
“Reg dich nicht auf, Daddy. Ich dachte, es wäre gut, wenn er gemeinsam mit uns herausfinden würde, wer Leslie Anne die Zeitungsausschnitte über …”, sie holte tief Luft, “… über Eddie Jay Nealy geschickt hat.” Sie hatte seinen Namen gesagt. Es war nicht so schwierig gewesen, wie sie gedacht hatte. In all den Jahren hatte sie seinen Namen nicht ein einziges Mal laut gesagt, obwohl er immer wieder in ihrem Kopf herumgeschwirrt war. Und heute hatte sie ihn schon zwei Mal ausgesprochen!
“Was interessiert es, wer sie geschickt hat? Der Schaden ist angerichtet.” G. W. tätschelte Tessas Hände. “Wir können ja versuchen, ihr einzureden, dass John Allen …”
“Nein!” Tessa riss sich los. “Es ist zu spät. Du hast recht – der Schaden ist angerichtet und meine Tochter emotional am Boden zerstört. Unsere Aufgabe ist es jetzt, diesen Schaden wiedergutzumachen und ihr zu helfen, damit klarzukommen.”
“Dafür brauchen wir Moran nicht.”
“Ich glaube vielleicht doch. Leslie Anne hängt an ihm. Sie vertraut ihm.”
“Und du? Hängst du etwa auch an ihm?” G. W. sah sie fragend an.
“Sei doch nicht albern. Ich kenne ihn ja kaum.”
“Dann schick ihn weg. Leslie Anne ist wieder da, sie ist gesund und munter und …”
“Munter wohl kaum. Sie hört nicht auf, Fragen zu stellen. Sie will Antworten hören, und die werde ich ihr auch geben.” Als ihr Vater nicht reagierte, sondern sie nur besorgt ansah, fuhr Tessa fort: “Ich werde nicht mit dir darüber streiten. Ich möchte, dass wir an einem Strang ziehen – für Leslie Anne. Einverstanden?”
Mit einem lauten Schniefen und feuchten Augen nickte G. W. “Aber wenn wir ihr alles sagen, dann sofort. Lass uns die Sache hinter uns bringen. Dann sehen wir, wie es weitergeht.”
“Ich habe schon mit Dr. Barrett telefoniert. Er kommt um elf Uhr.”
“Du hast Arthur angerufen?”
“Ja. Ich glaube, der Therapeut, der mir über viele Jahre geholfen hat, könnte auch für Leslie Anne der ideale Ansprechpartner sein. Immerhin kennt Dr. Barrett die ganze Geschichte.”
“Ja, das stimmt. Er kennt die Geschichte.”
Tessa entging der seltsame Ton in der Stimme ihres Vaters nicht.
“Daddy?”
“Ja?”
“Irgendetwas stimmt doch nicht. Verschweigst du mir etwas?”
G. W. tätschelte seiner Tochter beruhigend den Arm. “Ich hasse es, über die Vergangenheit zu reden. Es war eine sehr schmerzvolle Zeit für uns alle. Für dich, für mich … und für deine Mutter.”
“Ich wühle auch ungern in der
Weitere Kostenlose Bücher