Das Gesicht des Drachen
Matrosen herbeieilten, um ihr aufzuhelfen, kam ihr in den Sinn, dass der Mann in dem Hubschrauber sie vermutlich genau davor gewarnt hatte.
Schiffsfahrten sind bei dieser Erkrankung nicht zu empfehlen, erinnerte Sachs sich; sie musste auf dem Weg zur Brücke ständig die Knie beugen, um im Gleichgewicht zu bleiben. In Gedanken führte sie ein kurzes Gespräch mit Dr. John Sung und berichtete ihm, dass die chinesische Medizin verglichen mit Percoset und den diversen Entzündungshemmern noch einiges aufzuholen hatte.
Auf der Brücke begrüßte sie der unglaublich jung aussehende Captain Fred Ransom mit einem Lächeln und einem Handschlag. Er hieß sie an Bord willkommen und führte sie zum Kartentisch. »So, hier haben wir ein Foto des Schiffs und seines gegenwärtigen Zustands.«
Sachs nahm es gründlich in Augenschein. Ransom schilderte ihr, wo die Brücke und die einzelnen Kabinen lagen - auf demselben Deck, aber durch einen langen Gang nach achtern getrennt.
»Vor einem möchte ich Sie noch warnen, Officer«, sagte er rücksichtsvoll. »Wir gehen davon aus, dass sich im Innern ungefähr fünfzehn Leichen befinden und bestimmt schon das Interesse der hiesigen Tierwelt erregt haben. Das dürfte kein schöner Anblick sein. Manche meiner Leute schleppen solche Bilder noch wochenlang mit sich herum.«
Aber seine Stimme erstarb, als er Sachs in die Augen sah.
»Ich weiß die Warnung zu schätzen, Captain«, sagte sie. »Aber ich verdiene mein Geld damit, Tatorte zu untersuchen.«
»Natürlich, Officer, alles klar. Okay, dann besorgen wir Ihnen mal eine Ausrüstung.«
Es ging wieder nach draußen, durch Regen und Wind. Diesmal steuerten sie das Heck des Schiffs an, wo Sachs in einem kleinen, nach hinten offenen Verschlag zwei weiteren Beamten vorgestellt wurde, einem Mann und einer Frau, die beide gelbschwarze Neoprenanzüge und -füßlinge trugen. Es handelte sich um den Leiter der Tauchgruppe des Schiffs und seine Stellvertreterin.
»Sie haben das PADI-Programm absolviert?«, fragte der Mann. »Wie viele Tauchgänge insgesamt?«
»Ich schätze, so etwa fünfundzwanzig.«
Das schien die beiden ein wenig zu erleichtern.
»Wann zuletzt?«
»Vor ein paar Jahren.«
Diese Antwort hatte die gegenteilige Wirkung.
»Nun, wir gehen alle Schritte noch einmal mit Ihnen durch«, sagte der Mann. »So als wären Sie eine komplette Anfängerin.«
»Darauf hatte ich gehofft.«
»Wie tief waren Sie schon unten?«, fragte die Frau.
»Fünfundzwanzig Meter.«
»Ungefähr so tief wie in diesem Fall. Allerdings wird es etwas dunkler sein. Die Strömung wirbelt den Grund auf.«
Das Wasser sei nicht besonders kalt und habe nach wie vor einen Großteil der Sommerhitze gespeichert, erläuterten die beiden. Jeder Tauchgang koste jedoch sehr viel Körperwärme, und daher müsse auch Amelia einen Neoprenanzug tragen, der sie nicht nur durch sein Material, sondern auch durch eine dünne Wasserschicht zwischen ihrer Haut und dem Kautschuk isolieren würde.
Hinter einem Wandschirm legte sie ihre Kleidung ab und zwängte sich dann in den Anzug.
»Sind Sie sicher, dass dies keine Kindergröße ist?«, rief sie keuchend vor Anstrengung, nachdem sie die enge Gummihülle über Hüften und Schultern gezogen hatte.
»Das hören wir häufig«, erwiderte die Beamtin.
Dann erhielt Sachs den Rest der Ausrüstung: Gewichte, eine Maske und die Pressluftflasche, an der eine Tarierweste angeschlossen war.
Mittels eines Reglers in der Nähe der linken Hand konnte man die Kammern der Weste mit Luft füllen oder wieder entleeren und auf diese Weise den Auftrieb im Wasser steuern.
Ebenfalls mit der Pressluftflasche verbunden waren zwei Lungenautomaten - ein primärer, den sie zum Atmen verwenden würde, und ein sekundärer, scherzhaft Oktopus genannt, über den ein Tauchkamerad an Luft gelangen konnte, falls bei ihm selbst ein Notfall oder technischer Defekt auftrat. Außerdem wurde an Amelias Kopfhaube ein kleiner Scheinwerfer befestigt.
Danach gingen sie die grundlegenden Handzeichen zur Kommunikation unter Wasser durch.
Es war eine Vielzahl von wichtigen Informationen, und Sachs versuchte, sich alles möglichst genau einzuprägen.
»Wie wär's mit einem Messer?«, fragte sie.
»Sie haben schon eins«, sagte der Tauchleiter und wies auf ihre Tarierweste. Sie stellte fest, dass die Spitze der Waffe abgerundet war.
»Das Ding ist nicht zum Stechen gedacht«, sagte die Frau, der Sachs' Besorgnis nicht entging. »Nur zum Schneiden. Sie
Weitere Kostenlose Bücher