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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
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noch erledigen können, bevor er nach New York fuhr.
    Er zog die Waffe und ging ans Ufer.
    Der Wind machte ihn völlig fertig.
    Mühsam schleppte Sonny Li sich in Richtung der kleinen Stadt durch den Sand. Er war eher schmächtig und hatte sich in der harten, gefährlichen Welt, in der er lebte, stets nur mit Täuschungsmanövern, Überraschungsangriffen und listigen Einfällen behaupten können (und natürlich mit Waffengewalt), aber nicht dank überlegener Körperkräfte. Nach den Strapazen des heutigen Morgens war er nunmehr an der Grenze seines Leistungsvermögens angelangt.
    Dieser Wind. zweimal ging Li deswegen sogar in die Knie.
    Ich kann nicht mehr, dachte er. Der Weg durch den Sand war einfach zu beschwerlich für ihn, und so nahm er das Risiko einer Entdeckung in Kauf und stolperte zurück auf die regennasse asphaltierte Straße. Er lief jetzt schneller, da er fürchtete, der Schlangenkopf könnte sich vom Strand absetzen, bevor er ihn fand.
    Einen Augenblick später erhielt er jedoch die Bestätigung, dass der Mann sich immer noch irgendwo in der Nähe befand: mehrere Pistolenschüsse.
    Li quälte sich eine Anhöhe hinauf und spähte angestrengt durch den strömenden Regen, konnte aber niemanden sehen. Offenbar hatte der Wind das Geräusch aus einiger Entfernung an sein Ohr getragen.
    Entmutigt ging er weiter. Zehn endlose Minuten kämpfte er sich vorwärts, legte bisweilen den Kopf in den Nacken und ließ Regen in seinen ausgedörrten Mund laufen. Nach all dem Salzwasser, das er geschluckt hatte, war er furchtbar durstig.
    Dann sah er zu seiner Rechten ein orangefarbenes Rettungsboot am Strand, vermutlich das des Geists. Erneut hielt Li nach dem Schlangenkopf Ausschau, wieder ohne Erfolg.
    Er wollte versuchen, vom Boot aus den Spuren des Mannes zu dessen eventuellem Versteck in der Stadt zu folgen, aber kaum hatte er die Straße verlassen, sah er ein Blinklicht auftauchen. Er wischte sich den Regen aus den Augen und schaute genauer hin. Das Licht war blau und bewegte sich mit hoher Geschwindigkeit in seine Richtung.
    Die Einwanderungsbehörde? Irgendwelche Sicherheitsbeamten?
    Li rannte zu einem dichten Gebüsch auf der anderen Straßenseite, kauerte sich dahinter und sah das Licht näher kommen, bis er schließlich auch das dazugehörige Fahrzeug erkennen konnte. Das sportliche, gelbe Cabrio schoss plötzlich aus Regen und Dunst hervor und kam in etwa hundert Metern Entfernung schlitternd zum Stehen. Geduckt schlich Li langsam darauf zu.
    Amelia Sachs stand mitten im Regen am Strand und starrte auf die weibliche Leiche, die mit grotesk verdrehten Gliedmaßen vor ihr lag.
    »Er bringt die Leute um, Rhyme«, flüsterte sie bestürzt in das Mikrofon des Headsets, das mit ihrem Motorola SP-50 verbunden war. »Er hat zwei von ihnen erschossen, einen Mann und eine Frau. Von hinten.«
    »Erschossen?«, wiederholte Rhyme mit hohler Stimme, und Amelia wusste, dass er sich auch für diese beiden Toten verantwortlich fühlte.
    Der ESU-Beamte kam im Laufschritt und mit schussbereiter Maschinenpistole auf sie zu. »Keine Spur von ihm«, rief er. »Die Leute in dem Restaurant da drüben sagen, dass jemand vor etwa zwanzig Minuten ein Auto geklaut hat.« Er hatte sich das Kennzeichen und eine Beschreibung des Honda notiert. Amelia gab die Informationen an Rhyme durch.
    »Lon wird alles Nötige veranlassen«, sagte er. »War der Mann allein?«
    »Es sieht so aus. Wegen des Regens gibt es hier im Sand keine brauchbaren Fußspuren, aber ich habe welche an der schlammigen Stelle gefunden, wo er die Frau erschossen hat. Zu dem Zeitpunkt war niemand bei ihm.«
    »Demnach scheint der Verbleib seines bangshou weiterhin ungeklärt zu sein. Vielleicht hat der Mann sich an Bord eines anderen Boots retten können. Oder er ist mit dem Schiff untergegangen.«
    Amelia legte eine Hand auf den Kolben der Waffe und nahm die nähere Umgebung in Augenschein. Felsen, Dünen und Sträucher schimmerten durch den weißlichen Nebel. Ein einzelner Mann konnte sich hier problemlos verbergen.
    »Wir machen uns jetzt auf die Suche nach den Immigranten, Rhyme«, sagte sie dann.
    Sie rechnete damit, dass er ihr widersprechen und sie anweisen würde, zunächst den Tatort zu untersuchen, damit die tobenden Elemente nicht auch noch die letzten Spuren vernichten konnten, doch er sagte nur: »Viel Glück, Sachs. Ruf mich wieder an, wenn du dir den Schauplatz vornimmst.« Er unterbrach die Verbindung.
    Lass dir keine Einzelheit entgehen, aber pass auf
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