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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
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Bild durch den Kopf. Sie sah sich selbst tatsächlich als den Schlangenkopf, erfüllt von dem erregenden Drang, die Flüchtlinge aufzuspüren und zu ermorden. Das Gefühl war beängstigend. »Nichts wird mich aufhalten«, flüsterte sie.
    »Gut, Sachs«, erwiderte Rhyme leise, als wolle er keinesfalls riskieren, die fragile Verbindung zwischen ihr und dem Schlangenkopf zu unterbrechen. »Und jetzt denk über die illegalen Einwanderer nach. Sie werden von einer solchen Person verfolgt. Was würden sie wohl tun?«
    Amelia benötigte einen Moment, um sich von einem herzlosen Mörder und Schlangenkopf in eine der armen Seelen auf diesem Schiff zu verwandeln. Sie war entsetzt, dass der Mann, dem sie die gesamten Ersparnisse ihres Lebens überlassen musste, sie auf diese Weise hintergangen und ihr nahe stehende Menschen umgebracht hatte, vielleicht sogar Familienangehörige. Und nun wollte er auch sie töten.
    »Ich suche mir kein Versteck, sondern sehe zu, dass ich so schnell wie möglich von hier verschwinde. Egal wie, Hauptsache weit weg. Wir können nicht zurück ins Meer. Wir können nicht zu Fuß weiter. Wir brauchen einen Wagen.«
    »Und woher kriegt ihr einen?«, fragte Rhyme.
    »Keine Ahnung«, sagte sie und hatte den frustrierenden Eindruck, der Antwort greifbar nahe zu sein, ohne wirklich etwas erkennen zu können.
    »Gibt es weiter landeinwärts irgendwelche Gebäude?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Sind an der Tankstelle Lastwagen geparkt?«
    »Ja, aber laut Auskunft der Angestellten fehlt keiner davon.«
    »Sonst noch etwas?«
    Sachs musterte den Straßenverlauf. »Nein, nichts.«
    »Da kann nicht nichts sein, Sachs«, tadelte er sie. »Diese Leute rennen um ihr Leben. Sie sind irgendwie entkommen. Die Antwort liegt dort in Easton. Was siehst du sonst noch?«
    Sie seufzte und begann mit der Aufzählung. »Ich sehe einen Stapel alter Reifen. Ich sehe ein Segelboot, das kieloben liegt. Ich sehe einen leeren Kasten Bier - Marke Sam Adams. Vor der Kirche steht eine Schubkarre.«
    »Kirche?«, unterbrach Rhyme. »Vorhin hast du nichts von einer Kirche erwähnt.«
    »Es ist Dienstagmorgen, Rhyme. Die Kirche ist verschlossen, und die ESU hat dort bereits nachgesehen.«
    »Geh dahin, Sachs. Sofort!«
    Steifbeinig machte sie sich auf den Weg, wenngleich ihr nicht klar war, welche hilfreichen Erkenntnisse Rhyme sich davon versprach.
    »Hast du in den Sommerferien jemals an den Aktivitäten deiner Kirchengemeinde teilgenommen, Sachs?«, fragte Rhyme. »Ritz Cracker, Hawaiipunsch und Bibelstunden an warmen Sommertagen? Picknicks mit hausgemachten Salaten? Ausflüge mit der Jugendgruppe?«
    »Ein- oder zweimal. Meistens habe ich sonntags lieber an alten Vergasern herumgeschraubt.«
    »Womit befördern die Kirchen ihre Schäfchen von Ort zu Ort? Mit Kleinbussen, Sachs. Mit Kleinbussen, in denen bis zu zwölf Leute Platz finden.«
    »Könnte sein.« Sie klang skeptisch.
    »Vielleicht auch nicht«, räumte Rhyme ein. »Aber den Einwanderern sind nicht plötzlich Flügel gewachsen, oder? Also lass uns die wahrscheinlicheren Alternativen überprüfen.«
    Wie so oft, behielt er auch diesmal Recht.
    Amelia kam um das Kirchengebäude herum und betrachtete den matschigen Boden: Fußspuren, winzige Krümel aus zerbrochenem Sicherheitsglas, das Rohr, mit dem man die Scheibe eingeschlagen hatte, die Reifenabdrücke eines Transporters.
    »Volltreffer, Rhyme. Ein ganzer Haufen frischer Spuren. Verdammt, das war clever. Sie sind bewusst nur auf Steine, Gras und Unkraut getreten, um im Schlamm keine Fährte zu hinterlassen. Dann sind sie mit dem Wagen offenbar nicht durch den Ort, sondern zunächst ein Stück querfeldein gefahren, sodass niemand sie beim Abbiegen auf die Straße gesehen hat.«
    »Setz dich mit dem Pfarrer in Verbindung, und lass dir die Einzelheiten über den Kleinbus geben«, befahl Rhyme.
    Sachs bat einen der Bezirkspolizisten, die Auskünfte einzuholen. Nur wenige Minuten später lag die Information vor: Es handelte sich um einen weißen Dodge, fünf Jahre alt, versehen mit dem Namen der Kirche. Amelia notierte sich das Kennzeichen und gab alles an Rhyme durch, der daraufhin - ebenso wie zuvor für den Honda - eine Fahndungsmeldung veranlassen wollte. Ferner sollten die Hafenbehörden sämtliche Mautstellen an Tunneln und Brücken verständigen, weil davon auszugehen war, dass die Flüchtlinge versuchen würden, nach Chinatown zu gelangen.
    Sachs unterzog den Platz hinter der Kirche der üblichen Suchprozedur, konnte aber
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