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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen
Autoren: Jeffery Deaver
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Wochen praktisch vollständig verschwunden war.
    Beim Aufprall des Boots auf die Felsen waren er, John Sung und das junge Ehepaar ins Wasser geschleudert und von der starken Strömung abgetrieben worden. Li hatte die drei anderen sofort aus den Augen verloren und es erst nach ungefähr einem Kilometer geschafft, sich mit Mühe und Not ans Ufer zu retten. Dann war er ein Stück vom Wasser weggekrochen und zusammengesackt.
    Bewegungslos hatte er im prasselnden Regen gelegen, bis die Seekrankheit abgeklungen war und der pochende Schmerz in seinem Kopf nachgelassen hatte. Jetzt kämpfte er sich mühsam auf die Beine und ging langsam in Richtung der Straße. Seine Jeans und der Pullover waren von Salzwasser durchtränkt und voller Sand, sodass sie am ganzen Körper scheuerten. Er sah sich nach allen Seiten um, konnte jedoch nichts Besonderes entdecken. Allerdings erinnerte er sich daran, rechts von hier die Lichter einer kleinen Ansiedlung gesehen zu haben, und so machte er sich nun entlang der sandbedeckten Straße dorthin auf den Weg.
    Wo wohl der Geist stecken mochte?, überlegte Li.
    Wie als Antwort darauf ertönte ein kurzer Knall, den Li sofort als Pistolenschuss erkannte. Das Geräusch hallte durch die trübe nasse Dämmerung.
    Aber war das der Geist? Oder ein Einheimischer? (Jedermann wusste, dass alle Amerikaner Waffen trugen.) Vielleicht war es auch ein amerikanischer Sicherheitsbeamter.
    Li wollte lieber kein Risiko eingehen. Einerseits drängte es ihn, den Geist so bald wie möglich zu finden, andererseits war ihm bewusst, dass er vorsichtig sein musste. Er wich von der Straße ins lockere Unterholz ab, wo man ihn nicht sofort bemerken würde, und schleppte sich so schnell voran, wie seine verkrampften und erschöpften Beine ihn tragen konnten.
    Die Familien erstarrten bei dem Geräusch.
    »Das war.«, setzte Wu Qichen an.
    »Ja«, murmelte Sam Chang. »Ein Schuss.«
    »Er will uns umbringen. Er wird uns aufspüren und umbringen.«
    - »Ich weiß«, gab Chang barsch zurück. Sein Herz war voller Trauer um Dr. Sung, um Sonny Li, um die beiden jungen Leute wer auch immer dort soeben gestorben sein mochte. Aber was konnte er tun?
    Er schaute zu seinem Vater und stellte fest, dass Chang Jiechi zwar sichtlich nach Atem rang, aber keineswegs zu leiden schien. Der alte Mann nickte seinem Sohn zu. Von ihm aus konnte es weitergehen. Die kleine Gruppe setzte ihren Weg durch Regen und Wind fort.
    Ihre Sorge, die Fahrer bitten oder nötigen zu müssen, sie nach Chinatown zu bringen, erwies sich als hinfällig, denn es wartete kein einziger Lastwagen auf sie. Entweder standen die Fahrzeuge an einer völlig anderen Stelle oder der Geist hatte sie zurückbeordert, nachdem die Entscheidung gefallen war, das Schiff zu versenken. Einige Minuten hatten Chang und Wu nach Sung, Li und den anderen gerufen, die über Bord gegangen waren, aber dann hatte Chang das sich nähernde Boot des Schlangenkopfs bemerkt und die beiden Familien in ein Dickicht jenseits der Straße geführt, wo sie nicht gesehen werden konnten. Nun gingen sie auf die Lichter zu, um dort eventuell ein Transportmittel auf zutreiben.
    Der Ort bestand aus zwei Restaurants, einer Tankstelle, ein paar Andenkenläden, wie es sie auch im Hafenviertel von Xiamen gab, zehn oder zwölf Wohnhäusern und einer Kirche.
    Es war erst kurz nach Tagesanbruch - ungefähr halb sechs oder sechs -, doch es gab bereits einige Lebenszeichen: Vor den beiden Restaurants parkten ein Dutzend Autos, darunter auch ein fahrerloser Wagen mit laufendem Motor. Leider war es eine kleine Limousine, und Chang musste zehn Leute unterbringen. Außerdem wäre es von Vorteil für sie, wenn der Diebstahl erst nach zwei oder drei Stunden bemerkt werden würde - so lange dauerte es nämlich, um von hier nach Chinatown in New York City zu gelangen, hatte man ihm erzählt.
    Er wies die anderen an, hinter einigen hohen Büschen zu warten, und bedeutete Wu und seinem Sohn William, ihn zu begleiten. Geduckt eilten sie auf die Rückseite der Häuser. Hinter der Tankstelle standen zwei große Lastwagen, die sich allerdings genau im Blickfeld des jungen Mannes befanden, der an der Kasse saß. Zwar prasselte der Regen gegen die Scheiben und erschwerte die Sicht, aber es konnte ihm nicht entgehen, falls einer der Laster sich in Bewegung setzen würde.
    Zwanzig Meter weiter stand ein Haus, in dem nirgendwo Licht brannte, und dahinter ein Pickup, doch Chang wollte nicht, dass sein Vater oder die Kinder auf der
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