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Das Gesicht des Drachen

Das Gesicht des Drachen

Titel: Das Gesicht des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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ein Kung-Fu-Kampf würde ausbrechen, aber diesmal ignorierte Li den INS-Mann und sprach ganz ruhig weiter. »In meiner Heimat unterscheiden wir vier Klassen von Leuten. Nicht nach Arm und Reich wie bei Ihnen. Was man tut, ist in China viel wichtiger als das Geld, das man besitzt. Und wissen Sie, was als höchste Ehre gilt? Für das Land und für das Volk zu arbeiten. Genau das tue ich, und ich bin ein verdammt guter Bulle.«
    »Da drüben halten doch alle die Hand auf«, murmelte Coe.
    »Ich nicht, okay?« Li grinste. »Zumindest nicht bei einem so wichtigen Fall wie diesem.«
    »Und woher sollen wir wissen, ob er nicht doch auf der Lohnliste des Geists steht?«, fragte Coe.
    Li lachte. »He, woher wissen wir, ob Sie nicht für ihn arbeiten?«
    »Leck mich!«, sagte Coe. Er war wütend.
    Nach Rhymes Dafürhalten war der junge INS-Agent viel zu emotional, um wirksam bei den Strafverfolgungsbehörden tätig zu sein. Er klang oftmals sehr verächtlich, wenn er über die »Illegalen« sprach. Es schien ihn persönlich zu beleidigen, dass jemand ein Bundesgesetz brach und unerlaubt ins Land schlich, und er hatte mehrfach angedeutet, die Immigranten wären im Wesentlichen von materieller Gier getrieben und nicht etwa von Freiheitsliebe oder Sehnsucht nach Demokratie.
    Abgesehen von seiner geringschätzigen Einstellung gegenüber Ausländern bestand bei ihm zudem ein persönliches Interesse daran, den Geist zur Strecke zu bringen. Vor einigen Jahren war Coe in Taipeh, der Hauptstadt Taiwans, stationiert gewesen und hatte von dort aus den Einsatz verdeckter Ermittler auf dem chinesischen Festland geleitet, deren Aufgabe darin bestand, führende Schlangenköpfe zu identifizieren. Während der Recherchen über den Geist war einer seiner Informanten, eine Frau, spurlos verschwunden und wahrscheinlich ermordet worden. Später kam heraus, dass sie für zwei kleine Kinder sorgen musste, aber aus Geldnot bereit gewesen war, den Geist zu verraten - der INS hätte niemals wissentlich eine junge Mutter als Spitzel angeheuert. Coe erhielt einen Verweis und wurde für sechs Monate vom Dienst suspendiert. Seither war er von dem Gedanken besessen, den Geist in die Finger zu bekommen.
    Als guter Polizist musste man solche persönlichen Gefühle außer Acht lassen können. Unvoreingenommenheit war absolute Bedingung, eine Variation von Rhymes Grundregel, nicht an die Toten zu denken.
    »Alle mal herhören«, sagte Dellray. »Ich bin nicht in der Stimmung für dieses kindische Benehmen, also reißt euch gefälligst am Riemen. Li bleibt so lange bei uns, wie Lincoln es möchte. Sorgen Sie dafür, Coe. Rufen Sie im Außenministerium an, und beschaffen Sie ihm ein vorläufiges Visum. Haben wir uns verstanden?«
    »Nein, das haben wir ganz und gar nicht«, murrte Coe. »Man kann doch einen von denen nicht in die Einsatzgruppe lassen.«
    »>Einen von denen? <«, fragte Dellray und fuhr auf dem Absatz herum. »Wen meinen Sie denn mit >denen    »Die Illegalen.«
    Der hoch gewachsene FBI-Mann schnalzte mit der Zunge. »Wissen Sie, Coe, dieses Wort gefällt mir überhaupt nicht. Es klingt nicht respektvoll. Es klingt nicht freundlich. Schon gar nicht so, wie Sie es sagen.«
    »Tja, ihr vom FBI habt ja schon mehrmals deutlich gemacht, dass es sich genau genommen nicht um einen INS-Fall handelt. Behaltet den Kerl, wenn ihr wollt, aber behauptet hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.«
    »Sie haben richtig entschieden«, sagte Sonny Li zu Rhyme. »Ich kann Ihnen sehr behilflich sein, Loaban.« Li ging zum Tisch und nahm die Waffe, die er mitgebracht hatte.
    »Halt, halt, halt«, sagte Dellray. »Finger weg.«
    »He, ich bin ein Bulle. Genau wie Sie.«
    »Nein, Sie sind kein Bulle wie ich oder wie sonst jemand hier im Raum. Keine Waffen.« »Okay, okay. Behalten Sie die Waffe vorerst, Heise.«
    »Was heißt das?«, fuhr Dellray ihn an. »Heise?«
    »Das heißt schwarz. He, he, kein Grund, beleidigt zu sein. Das ist nichts Schlimmes, ehrlich.«
    »Lassen Sie es trotzdem sein.«
    »Gut, ich lasse es. Gut.«
    »Willkommen an Bord, Sonny«, sagte Rhyme. Dann sah er auf die Uhr. Es war genau Mittag. Vor sechs Stunden hatte der Geist mit der gnadenlosen Jagd auf die Immigrantenfamilien begonnen. Vielleicht holte er in diesem Moment schon zum entscheidenden Schlag aus. »Okay, lassen Sie uns einen Blick auf das Beweismaterial werfen.«
    »Sicher, sicher«, sagte Li, der plötzlich abgelenkt wirkte. »Aber zuerst brauche ich eine Zigarette. Na los,

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