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Das Gesicht des Fremden

Das Gesicht des Fremden

Titel: Das Gesicht des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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zurückgeführt«, meinte er. »Heldin für einen Tag – und kostenlosen Gin für das nächste halbe Jahr, wann immer sie ihre Geschichte zum besten gibt. Ging Grimwalde mit ihr nach oben?«
    »Ja, bewaffnet mit dem Generalschlüssel.«
    »Und was genau fanden sie vor?« Das war wahrscheinlich das einzige, was sie wirklich in der Hand hatten: die präzisen Fakten über den Fund der Leiche.
    Evan dachte dermaßen angestrengt nach, daß Monk nicht sicher war, ob er sich die Zeugenaussage oder sein eigenes Bild der Räumlichkeiten in Erinnerung zu rufen versuchte.
    »Die kleine Diele war perfekt aufgeräumt«, begann er schließlich. »Da standen die üblichen Dinge, ein Garderobenständer samt Mänteln und Hüten, ein weiterer, recht hübscher Ständer für Stöcke und Schirme und dergleichen, ein Schuhschrank, ein kleines Tischchen für Visitenkarten, sonst nichts. Alles war an seinem Platz. Die einzige Tür führt direkt ins Wohnzimmer, von dem aus man dann Bad, Küche und Schlafzimmer erreicht.« Ein Schatten glitt über sein ungewöhnliches Gesicht. Er entspannte sich ein wenig und lehnte sich, ohne es zu merken, gegen den Fensterrahmen.
    »Nach der Diele war das Wohnzimmer wie ein Schlag ins Gesicht. Die Vorhänge waren zugezogen, und das Gaslicht brannte noch, obwohl es draußen längst hellichter Tag war. Mitten im Raum lag Grey, halb auf dem Fußboden, halb auf einem riesigen Sessel, mit dem Kopf nach unten. Überall war Blut – er sah ziemlich schlimm aus.« Evans Blick flackerte nicht die Spur, aber Monk sah deutlich, daß er es nur mit Mühe verhindern konnte. »Ich habe schon einige Leichen gesehen – aber die hier war mit Abstand im grauenhaftesten Zustand. Man hatte mit einem recht dünnen Gegenstand auf den Mann eingedroschen, bis er tot war, und das muß ganz schön lange gedauert haben; jedenfalls kann es kein Totschläger gewesen sein. Es hat allem Anschein nach einen heftigen Kampf gegeben. Ein kleiner Tisch war umgekippt und hatte dabei eins seiner Beine eingebüßt, auf dem Boden lagen überall Ziergegenstände herum, und einer der schwarzen Polstersessel lag auf dem Rücken – der, über dem die eine Hälfte von Greys Leiche hing.« Evans runzelte die Stirn, während er sich das Bild in Erinnerung rief; er sah blaß aus. »In den übrigen Zimmern war nichts verändert«, fuhr er mit einer fahrigen Handbewegung fort. »Es dauerte eine ganze Weile, bis Mrs. Huggins wieder so weit bei Sinnen war, daß wir sie überreden konnten, einen Blick in Küche und Schlafzimmer zu werfen, aber schließlich tat sie es doch und erklärte anschließend, beide Räume sähen noch genauso aus, wie sie sie am vorigen Tag zurückgelassen hatte.«
    Monk holte tief Luft und dachte nach. Er mußte jetzt unbedingt etwas Intelligentes sagen, nicht nur irgendeinen albernen Kommentar zum Offensichtlichen abgeben. Evan behielt ihn abwartend im Auge, und er fühlte sich gehemmt.
    »Er hat also irgendwann im Lauf des Abends Besuch bekommen«, begann er zaghafter als geplant. »Von jemandem, der mit ihm stritt oder ihn einfach ohne Vorwarnung angriff. Es gab einen heftigen Kampf, und Grey zog den kürzeren.«
    »Mehr oder weniger«, stimmte Evan ihm zu und stellte sich wieder gerade hin. »Jedenfalls haben wir keinen weiteren Anhaltspunkt, dem wir nachgehen könnten. Wir wissen nicht mal, ob es sich um einen Fremden handelte oder um jemand, den Grey kannte.«
    »Kein Anzeichen für gewaltsames Eindringen?«
    »Nichts, Sir. Es ist auch ziemlich unwahrscheinlich, daß ein Einbrecher sich gewaltsam Zutritt zu einem Haus verschafft, in dem noch alle Lichter brennen.«
    »Richtig.« Monk verfluchte sich im stillen für seine idiotische Frage. War er immer so blöd? Evan wirkte nicht im mindesten verwundert. War das reine Höflichkeit – oder befürchtete er nur, einen Vorgesetzten zu verärgern, der für seine Nachsicht nicht gerade berühmt war? »So dumm wäre er nicht«, sagte er laut.
    »Ich nehme an, er kann auch nicht von Grey überrascht worden sein und erst später das Licht angemacht haben, um uns an der Nase herumzuführen.«
    »Genauso unwahrscheinlich, Sir. Wenn er tatsächlich so kaltblütig gewesen wäre, hätte er doch sicher ein paar Wertsachen mitgehen lassen, nicht wahr? Wenigstens das Geld aus Greys Brieftasche, denn das hätte man nicht zurückverfolgen können.«
    Dem war nichts weiter hinzuzufügen. Monk seufzte und verschwand hinter seinem Schreibtisch. Er machte sich nicht die Mühe, Evan ebenfalls einen

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